Die Ostsee wird zum Präzedenzfall
Die Neuregelung der Fischerei ist ins Stocken geraten - der erste Mehrjahresplan ist strittig
Die Hälfte der europäischen Fischbestände ist nach Ansicht der Grünen weiter durch Überfischung in ihrem Bestand gefährdet. Kurz vor der Sommerpause stellte die grüne Bundestagsfraktion in diesem Zusammenhang eine Kleine Anfrage (18/5674). Die Abgeordneten wollen wissen, wie sich die schwarz-rote Bundesregierung zur europäischen Fangmengenpolitik positioniert. Die steht in diesem Jahr vor einem Neuanfang - und die Ostsee spielt dabei eine besondere Rolle.
Eigentlich schien im vergangenen Jahr schon alles klar zu sein. Die inzwischen ausgeschiedene EU-Kommissarin für maritime Angelegenheiten, die Griechin Maria Damanaki, hatte gegen starke Lobbyinteressen eine neue Fischereipolitik durchgesetzt. Die Fangquoten sollten nicht mehr Jahr für Jahr politisch ausgehandelt werden, in einem »Kuhhandel«, wie Kritiker meinen. Sondern die Gemeinsame Fischereipolitik solle den Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) folgen. Das stößt bis heute auf den Widerstand etwa der spanischen Fischindustrie oder polnischer und deutscher Politiker. Dagegen begrüßten Umweltorganisationen die geradezu revolutionäre Neuausrichtung. Das Thema wird auch den »Deutschen Fischereitag« in der kommenden Woche in Rostock dominieren.
Der allererste Mehrjahresplan wurde für die Fischerei in der Ostsee erstellt. »Er wird eine Blaupause sein für die Fischerei in allen EU-Gewässern«, sagt eine Sprecherin der Umweltorganisation WWF Deutschland. »Hier wird es sich zeigen, was das Versprechen auf nachhaltige Fischerei wert ist.«
Diese Neuregelung der Ostseefischerei fasst für mehrere Jahre die erlaubten Fangmengen auf Dorsch, Hering, Sprotte sowie Scholle zusammen und vergibt entsprechende nationale Quoten. Der Plan für die Ostsee droht jedoch zum Präzedenzfall für die Aufweichung der Fischereireform zu werden, hinter den Brüsseler Kulissen wird heftig politisch gestritten. Beim Kern der Reform, dem fischereiwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsprinzip (»höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrag«) wird getrickst: Plötzlich soll es »nachhaltig« sein, 11 000 Tonnen mehr Hering zu fangen, als die Wissenschaftler vorgegeben hatten, kritisiert der WWF.
In der deutschen Fischwirtschaft selber ist der neue EU-Ansatz intern umstritten, wenngleich der Fischereiverband die Neuregelung lobt. Er tut dies auch, weil endlich bürokratische Hürden fallen. So werde nicht mehr die Anzahl der Tage vorgeschrieben, an denen das Fischen erlaubt sei.
Von einer strengen Auslegung des neuen EU-Regelwerkes würde die Kleinfischerei an der Küste eher profitieren. Sie könnte bei Hering und Scholle sogar eine Fangmengenerhöhung bringen. »Bestürzte Reaktionen«, so der Fischereiverband, habe allerdings die Empfehlung der Meeresforscher des ICES zur Dorschfischerei ausgelöst. Die Wissenschaftler schlagen in der westlichen Ostsee eine drastische Reduzierung der Fangmenge vor. Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann von der LINKEN teilt zwar die Absicht der EU-Reform. Sie fordert allerdings wissenschaftlich »gut begründete Fangquoten«. Dafür sei mehr Forschung nötig. Auch sollten soziale Folgen berücksichtigt werden.
In Brüssel ist derweil ein Dreikampf entbrannt. Das Europäische Parlament hatte im April für einen Plan mit strenger Obergrenze gestimmt. Ministerrat und EU-Kommission legten dagegen Vorschläge auf den Tisch, die das Gesetz entscheidend schwächen würden. In sogenannten Trilogverhandlungen soll nun ein tragfähiger Kompromiss gefunden werden. Bis zur Sommerpause gelang dies nicht.
Für die gemeinsame Linie des EU-Parlaments in disen Fragen ist die EU-Abgeordnete Ulrike Rodust aus Kiel zuständig. Sie hatte bereits an der Reform maßgeblichen Anteil. Die Sozialdemokratin kann die plötzlich zögerliche Haltung der EU nicht nachvollziehen: »Wenn wir keine klaren Regeln beschließen, fehlt den Fischern die Planungssicherheit und wir schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall für die lasche Umsetzung der Fischereireform.« Jetzt müsse die Bundesregierung zeigen, wie sie grundsätzlich zur neuen Gemeinsamen Fischereipolitik steht, die sie vor zwei Jahren mit beschlossen hatte.
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