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»Bauseweins Forderungen hätten auch von der AfD stammen können«

Flüchtlingsrat verurteilt Offenen Brief des Thüringer SPD-Chefs und lobt die Landesregierung

  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr Abschiebungen und weniger Flüchtlinge an Schulen: Mit seinen Forderungen an Bund und Land katapultierte sich Thüringens SPD-Vorsitzender Andreas Bausewein innerhalb weniger Stunden ins Zentrum der deutschen Flüchtlingsdebatte. Fabian Köhler hat mit Martin M. Arnold vom Flüchtlingsrat Thüringen gesprochen – über Bauseweins Thesen, rassistische Forderungen und die Frage, warum die Landesregierung in der Flüchtlingspolitik vielleicht dennoch einen ganz guten Job macht.

Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein hat am Dienstag in einem Offenen Brief zur Flüchtlingspolitik gefordert, Schulen zu entlasten, indem man asylsuchende Kinder nicht in den Unterricht schickt. Was halten Sie davon?
Das ist völlig inakzeptabel. In Deutschland gilt die allgemeine Schulpflicht und es gibt keinen Grund daran etwas zu ändern. Ohnehin gibt es schon Sonderregelungen für Kinder in den ersten drei Monaten. Bausewein trägt mit seinem Offenen Brief politisches oder behördliches Versagen auf dem Rücken schutzsuchender Kinder aus.

Bausewein fordert auch noch die Ausweitung sichererer Herkunftsländer.
Auch das hat etwas sehr Populistisches. Es bedeutet, dass sich real die Chancen auf Asyl verringern. Wenn man sich aktuelle Berichte von Menschenrechtsorganisationen anschaut, kann man Länder wie Kosovo, Allbanien oder Mazedonien einfach nicht zu sicheren Herkunftsländern erklären. Ohnehin liegen die Probleme hier nicht an den Herkunftsländern, sondern an der Überbürokratisierung des Verfahrens. die zum Beispiel vorsieht, dass jeder schutzsuchende Menschen durch das System der Erstaufnahme gehen muss. Sie liegen auch daran, dass sich der Bund bei der organisatorischen und finanziellen Unterstützung der Länder und Kommunen zurückhält. Da hätte Bausewein eher Druck ausüben sollen, statt populistische Forderungen zu stellen, die auch von der AfD hätten stammen können.

Auch in Thüringen häufen sich die Probleme bei der Flüchtlingsunterbringung. Vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenberg müssen Asylsuchende in Zelten schlafen. Wie beurteilen Sie die Landesregierung?
Rot-Rot-Grün hat sich bemüht, weitere Aufnahmestrukturen zu schaffen. Und das ist auch geglückt. Vor Rot-Rot-Grün gab es die Kapazität für 500 Erstaufnahmen, jetzt sind es 2000. Die Zahlen sind jetzt nochmal angestiegen und auf einem Großteil der personellen und finanziellen Aufgaben wird das Land sitzenbleiben. Da ist der Bund gefragt.

Dennoch, seit dem Winterabschiebestopp ist es medial still geworden um die Verbesserung der Flüchtlingspolitik, wie sie Ministerpräsident Bodo Ramelow versprochen hat. Hat sich seitdem noch etwas getan?
Die Landespolitik möchte stärker dezentrale Unterbringung fördern. Das begrüßen wir sehr bei 8,3 Prozent Wohnungsleerstand in Thüringen. Die Sozialbetreuungspauschale – also wie viele Sozialarbeiter auf einen Flüchtling kommen – soll auf 1:100 verbessert werden. Wir fordern 1:75. Momentan liegt sie bei 1:160. Mann kann bei einem so komplexen Verfahren einen Sozialarbeiter einfach nicht 160 Menschen betreuen lassen, die so viel durchgemacht haben. Dazu brauchen wir aber auch die Solidarität in der Bevölkerung sowie der Landkreise und Kommunen.

In manchen Landkreisen macht es nicht den Eindruck, als sei die überall vorhanden.
Ja, ich sehe ein sehr großes Konfliktpotenzial, wenn die Suhler CDU beispielsweise die Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung fordert. Und das, ohne eine Alternative zu haben. Das ist populistische Politik gegen die Landesregierung auf Kosten von Flüchtlingen. Ich kann nicht blind Einrichtungen schließen, wie es sonst nur Rassisten und Rechtsextreme fordern.

Bausewein ist zwar nicht Mitglied der Landesregierung, aber immerhin Vorsitzender der Thüringer SPD. Kann er mit seinen Forderungen Einfluss auf die Landespolitik nehmen?
Das kann ich nicht einschätzen. Aber viele hat seine Kritik sehr verärgert. Es gab ja auch deutliche Kritik aus den eigenen Reihen. Offenbar gab es keine interne Absprache in der SPD. In dieser populistischen und hitzigen Debatte ist das erst recht problematisch.

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