Ich hasse die Glorifizierung von Gewalt

Der Schotte John MacLean über seinen Neo-Western »Slow West«

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 5 Min.
»Dry the Rain« von der schottischen »The Beta Band« schaffte es auf die Playlist in der Adaption von Nick Hornbys »High Fidelity«. Ihr kreativer Kopf John MacLean entdeckte über den Dreh von Videos seine Liebe zum Filmemachen. Nach mehreren Kurzfilmen mit seinem Kumpel Michael Fassbender gibt er sein Spielfilmdebüt mit dem Western »Slow West«. Fassbender spielt darin den professionellen Kopfgeldjäger Silas Selleck, der dem schottischen Greenhorn Jay Cavendish den Weg zu seiner Geliebten weist.

Hat »High Fidelity« Ihrer Indie-Band einen Popularitätsschub verpasst?
In den USA wurden wir durch den Film sehr populär, dafür sind wir John Cusack sehr dankbar. Er war schon vorher ein Fan unserer Musik und hat den Song für die Aktualisierung der Hitliste vorgeschlagen Der Roman ist vor unserer Zeit erschienen, daher erwähnt Nick Hornby andere Bands.

Warum haben Sie sich einen Western für ihr Regiedebüt gewählt?
Ich liebe das Genre seit meiner Kindheit, weil es am ehesten meiner Faszination für die USA entspricht. Ich fühlte mich stets zu dem Land hingezogen und als Student war ich mehrmals dort. Die Vielfalt und die Weite der Landschaften sind atemberaubend. Sie hat den Western ebenso geprägt wie New York die Filme von Woody Allen und Martin Scorsese. Außerdem interessierte mich immer die Beziehung zwischen Realität und Mythos. Die Besiedlung des Westens im 19. Jahrhundert hat den Mythos des Wilden Westens erschaffen. Doch inwieweit hat der Mythos auch die Realität verändert?

Hat Tarantinos »Django Unchained« die Tür für einen neue Betrachtungsweise dieser Ära geöffnet?
Sicher war der Erfolg bei der Finanzierung von »Slow West« hilfreich, der Western war aber nie tot. Er klaute bei Sergio Leone und Sam Peckingpah. Und warum auch nicht? Tarantino trifft dabei stets den richtigen Ton. Selbst in den brutalsten Szenen von »Reservoir Dogs« oder »Pulp Fiction« schimmert ein Lachen durch. Im Gegensatz zu Leones »Es war einmal in Amerika«, in dem die Gewaltdarstellungen manchmal nicht zu ertragen sind.

Auch in »Slow West« pflastern Leichen den Weg der beiden Männer, wobei wenig Blut zu sehen ist?
Ich hasse die Glorifizierung von Gewalt im Kino. Ich kann nicht verstehen, wie Leute Folter- oder Horrorszenen genießen können. Doch ich kann in dem Genre nicht verschweigen, dass der Wilde Westen mit Gewalt erobert wurde und dies bis heute die amerikanische Kultur prägte. Der einzig gangbare Kompromiss ist für mich die Reduktion der Gewaltdarstellung und das Vertrauen auf die Vorstellungskraft der Zuschauer. Die wenigen gewalttätigen Szenen sind sehr kurz. Nach kurzen Schusswechseln rücke ich die Toten ins Bild. Das war mir wichtig.

Zu den Überlebenden gehören zwei Kinder, die als stumme Beobachter dreimal im Film auftauchen und alle Schießereien überleben. Wofür stehen die beiden?
Die Kinder waren mir wichtig, weil sie die Zukunft des Landes repräsentieren. Trotz der schrecklichen Erlebnisse ist ihr Herz noch nicht voller Hass und Gewalt. Mit ihren Eltern haben sie Schweden verlassen, um in den USA eine neue Heimat zu finden. Und wenn Eltern damals in der Wildnis starben, haben sich andere Familien der Kinder angenommen. Das haben viele Siedler beschrieben.

Wie ist es zu Ihrer Zusammenarbeit mit Michael Faßbender gekommen?
Sein Agent hat ihm einige meiner frühen Filme gezeigt, die ich auf eigene Kosten und Risiko realisiert hatte. Er mochte sie und wollte mit mir arbeiten. Wir haben sofort den richtigen Draht zueinander gefunden, wir verstehen uns wortlos. Er ist sehr intelligent und besitzt die enorme Gabe, intuitiv den richtigen Ton zu treffen und vollkommen mit der Figur zu verschmelzen. Er denkt mit. Er weiß genau, wie er eine Szene emotional anlegen muss, damit auch die nächste funktioniert. Er ist auch ein sehr körperlicher Schauspieler, der kaum Dialoge braucht. Seine physische Präsenz kommt meiner Vorstellung von Schauspielerei entgegen. Diese Übereinstimmung haben wohl beide Seiten gespürt. Nach einigen Kurzfilmen schlug er einen Spielfilm vor.

Welche Erfahrung vom Videodreh hat Ihnen genutzt?
Wir hatten wenig Geld und mussten es clever einsetzen. Beim Dreh der Videos habe ich gelernt, mehrere Locations zu einem Ort zusammenzufügen oder Orte zu suchen, wo mehrere Szenen abgedreht werden können. Solche Locations haben wir gezielt gesucht. Wir haben erst die Szenen gedreht, in denen die beiden und ihre Verfolger in der Nähe eines Bachs lagern. Am nächsten Tag haben wir das Wasser des Bachs für die Regenmaschine genutzt, um eine Szene zu drehen, die an einem völlig anderen Ort spielt. Außerdem setze ich auf den Einfallsreichtum meiner Kameramänner. Mit CGI-Effekten werden heute so tolle Landschaften auf die Leinwand gezaubert, dass die Natur dagegen verblasst. Dafür hatte ich kein Geld. Mit Kleinigkeiten, vor allem mit der Arbeit mit Licht und Schatten, konnten wir phänomenale Bilder eingefangen.

Sehen Sie Ihre Zukunft in der Musik oder beim Film?
Hoffentlich im Film. Nur wenn die Zuschauer der Meinung sind, »Slow West« wäre ein schrecklicher Film, gebe ich auf.

In Sundance haben Sie den Grand Prix der Jury gewonnen. Ist das kein Eintrittsbillett?
Ich habe einige Projekte auf dem Schreibtisch. Bei der Wahl bin ich sehr vorsichtig. Ich will die Kontrolle über meine Filme behalten. Ich bleibe lieber als Autor und Regisseur in Schottland als dass ich Hollywood-Dutzendware inszeniere.

Und schwebt Ihnen wieder ein Western vor?
Sicher werde ich wieder einen Western inszenieren, vielleicht zum Abschied von der Leinwand. Mein nächster Film führt in die Gegenwart.

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