Sprung in eine neue Dimension

Kevin De Bruyne soll für mehr als 70 Millionen Euro von Wolfsburg nach England gehen. Dieser Wechsel ist erst der Anfang

  • Frank Hellmann, Wolfsburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Selbst der von VW alimentierte VfL Wolfsburg kann nicht anders, als seinen Superstar Kevin De Bruyne für einen Rekordbetrag zu Manchester City ziehen zu lassen.

Rückblickend wird nur allzu verständlich, warum vor anderthalb Wochen, am 17. August, in der Hamburger Fischauktionshalle sowohl Klaus Allofs als auch Patrick De Koster ein Schreck in die Glieder fuhr. Als Kevin De Bruyne bei einer Preisverleihung auf der Bühne stand und einen Satz des Moderators Alexander Bommes nachsprach (»Ich, Kevin De Bruyne, werde auf jeden Fall diese Saison beim VfL Wolfsburg spielen«), wussten der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg und der Berater des Ausnahmefußballers ja längst, dass ihnen dieser Treuschwur alsbald um die Ohren fliegen kann - als erzwungenes Lippenbekenntnis ohne Wert.

Auf der Pressekonferenz am Donnerstag hat Allofs zwar geäußert, dass es noch keine Einigung mit Manchester City gebe, bestätigte aber Verhandlungen, um dem Wechselwunsch des Spielers zu entsprechen. »Das Interesse des VfL Wolfsburg muss ausreichend berücksichtigt werden«, sagte der 58-Jährige über die laufenden Gespräche mit den solventen Engländern. Weitere Aussagen Allofs’ waren nur Teil des millionenschweren Pokers. Trainer Dieter Hecking dürfte bereits im Heimspiel an diesem Freitag gegen den FC Schalke 04 (20.30 Uhr) auf den Umworbenen verzichten - das Tauziehen um seinen Schlüsselspieler ist jedenfalls verloren.

Die Ablöse für Deutschlands Fußballer des Jahres soll 75 Millionen Euro betragen, Bonuszahlungen können die Summe auf 80 Millionen treiben. Noch wahnwitziger wirkt das 100-Millionen-Paket, dass für den Berufsfußballer und dessen Berater in Manchester geschnürt werden soll, der die sagenumwobenen Zahlen zuletzt in der Szene frank und frei herumerzählt hat. Kommt der Deal zustande, hätten sich Marktwert und Salär des 24-Jährigen in Windeseile vervierfacht.

»Leider sind andere Klubs in der Lage, ganz andere Dinge abzurufen«, hatte Allofs zuletzt konstatiert, nachdem Bemühungen, dem vertraglich bis 2019 gebundenen Belgier einen Verbleib mit der Verdopplung des Gehalts auf angeblich 11,5 Millionen schmackhaft zu machen, scheiterten. Wem bei diesen Summen schwindlig wird, der sollte bedenken, dass der neue Rekordtransfer nur ein Vorbote sein dürfte, dass die Bundesliga alsbald von den irrwitzigen Beträgen aus England getrieben wird. Obwohl der neue Milliardendeal für die Premier League erst 2016 in Kraft tritt, sind schon jetzt Spieler aus der Bundesliga für mehr als 200 Millionen gewechselt. Was passiert erst, wenn die Geldkanone auf der Insel richtig in Gang gesetzt wird?

Die 100-prozentige VW-Tochter VfL Wolfsburg hatte keine andere Wahl, als dem Verkauf auch eingedenk der Financial-Fairplay-Auflagen zuzustimmen. Erst im Frühjahr war Finanz-Geschäftsführer Wolfgang Hotze heilfroh, dass die UEFA-Prüfer das VfL-Modell unter dem VW-Dach absegneten - in den Gesamtetat der Fußball GmbH von rund 200 Millionen Euro pro Jahr sollen in Form verschiedener Gegenleistungen 70 bis 80 Millionen vom Autobauer fließen. Den Wintertransfer von André Schürrle hat Hotze stets »als Vorgriff auf die Champions-League-Teilnahme« deklariert. Nach dem De-Bruyne-Deal könnte der VfL noch mal klotzen statt kleckern - Namen wie Julian Draxler (FC Schalke) oder Daniel Didavi (VfB Stuttgart), Dennis Praet (RSC Anderlecht) und Dante (FC Bayern) werden gerüchtehalber gehandelt.

Ob derweil der aus dem Städtchen Drongen in Ostflandern stammende De Bruyne bei den Citizens wirklich zum Weltstar reift, ist eine spannende Frage. Chelsea verpflichtete ihn einst vom KRC Genk als eines von vielen Talenten, die als unerfüllte Versprechen umgehend wieder verliehen wurden. Der Umweg über Werder Bremen musste her, damit der Rotschopf erstmals in einer großen Liga auffiel. Anschließend interessierten sich Leverkusen und Dortmund für den sehr torgefährlichen Tempodribbler, jedoch untersagte José Mourinho den Verbleib in der Bundesliga. Für beide Seiten aber erwies sich die Zusammenarbeit als unerfreulich: Erst kürzlich lästerte Chelseas Starttrainer darüber, wie wenig De Bruyne den Konkurrenzkampf im Trainingsalltag angenommen habe.

Was seine schlechte Verfassung erklärte, in der er im Januar 2014 im östlichen Niedersachsen aufschlug. Beim 22 Millionen Euro teuren Wechsel des Edelreservisten half das gute Verhältnis, das Allofs inzwischen zu Spielerberater De Koster aufgebaut hatte. Er wusste aus Bremer Zeiten, dass der Ballstreichler vor allem eines benötigte: Rückhalt und Ruhe. »Er ist ein Junge, der einfach nur Fußball spielen will«, urteilten bereits früher diejenigen, die Gesprächsrunden erlebt hatten, in denen ein extrem schüchterner Profi nur emotionslose Allgemeinplätze von sich gab. Besser wäre gewesen, Kevin De Bruyne hätte eine antrainierte Floskel auch am 17. August noch einmal gebraucht.

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