»Wir müssen weniger produzieren«
Romuald Schaber fordert EU-Beschluss zur Beendigung der Krise
Seit einigen Wochen sind Europas Milchbauern wieder auf den Barrikaden. Was ist das Problem?
Das ist einfach. Wir haben Milchpreise, die unsere Existenz akut bedrohen. Wir bekommen um die 26 Cent pro Liter Milch bei nachweislichen Erzeugerkosten von über 40 Cent. Das geht mal kurzfristig, aber die Situation hält seit Monaten an.
Warum ist der Milchpreis gefallen?
Es wird zu viel produziert und damit ist zu viel Milch am Markt. Hintergrund ist die Liberalisierung des Milchmarktes, also letztendlich auch die Abschaffung der Quotenregelung. Bereits vor deren Ende wurde die Milchmenge ausgedehnt. Das war politisch motiviert, die Mengen wurden völlig an der Marktsituation vorbei ausgeweitet, um die Quote zu entwerten. Seit dem 31. März ist die Regelung endgültig ausgelaufen, seitdem kann in ganz Europa frei produziert werden. Das Ergebnis dieser Politik sehen wir jetzt.
Bei den großen Handelsketten ist nachvollziehbar, dass sie auf niedrige Preise spekulieren. Die Molkereien jedoch sind als Genossenschaften oftmals in Bauernhand.
Die Genossenschaftsmolkereien sind letztendlich in den Wettbewerb eingebunden. Sie können nicht einfach höhere Preise zahlen, als sie erwirtschaften. Was man den Genossenschaften und vor allem dem Genossenschaftsverband vorwerfen muss, ist die Tatsache, dass sie sich jeglicher Lösung verweigern. Sie spekulieren allein auf gute Exportchancen. Wenn aber dieser Export - wie gerade jetzt - nicht läuft, dann muss die Konsequenz auch mal heißen: Wir müssen weniger produzieren.
Auch der Bauernverband setzt weiter auf Wachstum und Export.
Wir sagen immer, der Bauernverband sollte sich besser »Industrieverband« nennen, denn er stellt die Interessen der großen Molkereien über die Interessen der Bauern. Das ist schwer zu begreifen, aber so ist es. Der Bauernverband fordert explizit, nicht in die Produktion einzugreifen, sondern drauflos zu produzieren und Bauern finanziell zu unterstützen.
Mehr Exporte bedeuten auch Auswirkungen auf andere Milchmärkte.
Ja, wir sagen, wenn irgendwo auf der Welt die Nachfrage nach Milchprodukten da ist, dann wollen wir diese Mengen auch produzieren. Ist aber die Nachfrage nicht ausreichend, dann macht es keinen Sinn, einfach weiter zu produzieren und damit auch noch andere Produzenten auf der Welt zu schädigen. Oftmals hat man dabei die Entwicklungsländer im Auge, aber auch in Neuseeland muss die große Molkerei Fonterra ihren Bauern momentan Kredite gewähren, damit die finanziell über die Runden kommen - das ist doch krank. Dabei darf man nicht vergessen, dass allein in der EU im Jahr 2014 sechs Millionen Tonnen Milch mehr produziert wurden als im Vorjahr - das sind etwa 15 Prozent des Weltmarktvolumens. Wir produzieren den Weltmarkt kaputt, auch deshalb ist es mehr als angemessen, bei uns auf die Bremse zu treten.
Spaniens Landwirtschaftsministerin Isabel García Tejerina hat vorgeschlagen, Bauern mit 300 Euro pro Kuh zu unterstützen. Wenn Agrarminister Christian Schmidt mit diesem Vorschlag zu Ihnen käme, was würden Sie ihm sagen?
Es ist die falsche Maßnahme zur falschen Zeit. Wir erwarten Verluste von weit über 1000 Euro pro Kuh. Diese Verluste mit einem Finanzprogramm ausgleichen zu wollen, das ist zu kurz gesprungen. Viel billiger und einfacher ist es, den Markt in Ordnung zu bringen, um die Preise wieder ansteigen zu lassen.
Wie soll das gehen?
Wir brauchen einen EU-Beschluss, der festlegt, dass auf absehbare Zeit - vielleicht im nächsten halben Jahr - keiner mehr überproduzieren darf. Wer weniger produziert, soll dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. Das würde sofort zu einer Marktentlastung beitragen. Damit hätten wir die Chance, möglichst schnell aus der Krise wieder herauszukommen. Um solche Maßnahmen zu finanzieren, könnte man die Superabgabe des vergangenen Jahres verwenden. Das sind 900 Millionen Euro, die momentan in die Kassen der EU fließen. Damit würden wir Zeit gewinnen für langfristige Kriseninstrumente.
Langfristig schlagen Sie ein Marktkrisenmanagement-Konzept vor. Wie soll das aussehen?
Unser mehrstufiges Konzept setzt sehr früh an. Es beruht auf einer genauen Marktbeobachtung und einem Frühwarnsystem. Je nach Schwierigkeit bzw. Stärke der Krise werden unterschiedliche Maßnahmen vorgeschlagen, die zeitlich beschränkt in den Markt eingreifen, etwa indem die Milchmenge für einen bestimmten Zeitraum reduziert wird. Wir sind der Meinung, dass dieses Konzept das einzige ist, das an der Wurzel des Problems ansetzt. Hätte man das vor zwei Jahren beschlossen, wären wir gar nicht in dieser Situation.
Die Milcherzeuger können momentan nicht kostendeckend produzieren. Was heißt das für die Höfe?
Als erstes werden die Abschreibungen aufgebraucht, die ansonsten für Neuinvestitionen zurücklegt werden. Über diesen ersten Schritt sind wir aber längst hinweg. Bei Familienbetrieben fällt der Lohn aus, das heißt, es wird versucht, die laufenden Ausgaben zu decken. Bei großen Betrieben, in denen Löhne bezahlt werden müssen, geht es überhaupt nicht mehr. Die Landwirte müssen Kredite aufnehmen. Das geht natürlich nur zeitlich befristet, denn je größer der Betrieb, desto größer die Verluste. Auf einer unserer Kundgebungen erzählte ein Kollege aus Schwerin, dass er derzeit 50 000 Euro im Monat in den Betrieb steckt, um ihn am Laufen zu halten. Das macht die Bank nicht lange mit, der bekommt vielleicht 250 000 Euro für fünf Monate. Wenn dann aber die Aussichten nicht wesentlich besser sind, muss die Reißleine gezogen werden. Egal ob große oder kleine Betriebe: Allen wird die Perspektive geraubt. Es ist wirklich fünf nach zwölf.
Wie gehen die Proteste weiter?
Die Staffelfahrt aus allen Teilen des Landes, die seit einigen Tagen unterwegs ist, führt nach München. Dort soll es eine große Kundgebung geben. Am 7. September sind wir in Brüssel, wenn dort der außerordentliche EU-Agrarrat zum Thema Milch tagt. Dann werden wir sehen, inwieweit die Politik bereit ist, das Richtige zu tun oder ob sie wieder nur - analog zu Griechenland - die Leute weiter in die Verschuldung treibt.
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