Kumpel und Spieß
Ralf Holtmeyer spricht vor der Ruder-WM über 30 Jahre als Trainer
Was hat sich in 30 Jahren Ihrer Trainertätigkeit verändert?
Natürlich ist das Material besser geworden und auch die Trainingsmethoden wurden verfeinert. Aber gerade hier in Ratzeburg werde ich immer wieder daran erinnert, dass wir Deutschen nun schon wieder 25 Jahre in einem Boot sitzen. Das macht mich echt glücklich. In die Nationalmannschaft stoßen jetzt immer mehr Sportler, die das geteilte Deutschland nicht einmal erlebt haben. Da gebe ich hier bei den Trainingsfahrten gleich ein bisschen Geschichtsunterricht. Die Athleten kennen zwar die deutsche Geschichte. Doch es beeindruckt die Ruderer emotional durchaus, wenn ich ihnen zeige, an welche Uferseite des Ratzeburger Sees man vor der Wende an der innerdeutschen Grenze nur unter Lebensgefahr an Land gehen konnte. Meine Frau stammt aus Rathenow und ruderte einst für Potsdam. Ohne die Einheit hätten wir uns vielleicht nie näher kennengelernt, denn für sie war es vor der Wende verboten, mit uns Wessis zu sprechen.
Ihre Frau Kerstin, Geburtsname Köppen, war selbst zweimal Olympiasiegerin und fünfmal Weltmeisterin. Da ist Rudern sicher auch zuhause ein Dauerthema?
Sie ist mittlerweile Lehrerin an einem Dortmunder Gymnasium, da hat sie ihre eigenen Probleme. Natürlich sprechen wir auch übers Rudern, aber sehr dosiert. Unsere 16-jährige Tochter Lena betreibt Tanzsport. Unser Sohn Simon ist 14 und spielt Handball, fängt aber jetzt auch mit Rudern an. Mal sehen, wohin die Reise geht.
Der Achter vom Olympiasieg 2012 siegte 36 mal in Folge. Mit der neuen Mannschaft glückte Ihnen schon wieder der EM-Titel. Gibt es ein Erfolgsgeheimnis?
Wir gewinnen ja auch nicht immer. Beim Weltcup in Luzern schlugen uns die Briten um acht Hundertstelsekunden. Die Leistung muss man anerkennen und dann mit dem Willen nach Hause fahren: »Beim nächsten Mal drehen wir den Spieß um.« Ich muss zugeben, dass der Deutschland-Achter inzwischen von einem Mythos umweht wird. Es wachsen immer wieder neue Jahrgänge nach. Die Erfolge der Achter haben sich ins kollektive Bewusstsein der Jungs eingegraben. Dieses Bewusstsein wird natürlich durch neue Siege und Medaillen weiter befördert. Der Herausforderung wollen sich die Jungs stellen. Das war früher so und ist heute nicht anders.
Bei den Weltmeisterschaften ab dem kommenden Sonntag auf dem Lac d’Aiguebelette in den französischen Alpen folgt die nächste Herausforderung. Lief die Vorbereitung nach Plan?
Vor unserem Abschlusstrainingslager in Ratzeburg haben wir in Kärnten ein dreiwöchiges Höhentraining absolviert. Da spürte ich schon: Die Mannschaft hat Biss, die wollen alle in Frankreich den Sieg.
In Ihren Booten sitzen keineswegs nur große, muskulöse »Kleiderschränke«. Wie gelingt es trotzdem, immer wieder starke Achter-Crews zu formieren?
Wir machen viel über die Technik mit bestem Material. Mein Motto lautet: Rudern, radeln, Gewichte stemmen. Die Jungs müssen sich im Rennen verstehen, ohne sich nun gleich ständig um den Hals zu fallen. Im Leistungssport muss Disziplin herrschen. Da darf auch einmal ein hartes Wort fallen. Du schwankst als Trainer immer zwischen Kumpel und Spieß. Der Achter ist ja auch bei den verschiedenen Athleten eine Art Schmelztiegel der Temperamente, und darauf muss ich mich einstellen.
Sie setzten im aktuellen Achter den Rostocker Hannes Ocik auf die Position des Schlagmanns. Ocik saß vorher im Bug des Bootes, wo die schnellen Athleten Platz finden. Jetzt rutschte er ganz nach hinten. Was befähigt ihn für die neue Führungsposition in der Crew?
Hannes verfügt über eine gute Physis und über ein gutes Rhythmusgefühl. Ich bin auf ihn durch seine Leistungen im Zweier aufmerksam geworden. Ich denke schon, dass er der richtige Athlet auf der Schlagmannposition ist. Er besticht als verträglicher Typ, kann die Truppe aber im entscheidenden Moment auch mal antreiben.
Bei der U19-WM in Rio de Janeiro zogen die deutschen Ruderer fünf Gold- , vier Silber- und zwei Bronzemedaillen an Land. Wie beurteilen Sie das Abschneiden?
Das ist sehr erfreulich. Wenn wir dauerhaft in der Weltspitze mitmischen wollen, muss trotzdem noch mehr passieren. Wir haben 500 Rudervereine in Deutschland. In vielen davon tut sich aber nicht viel. Da muss wieder Leben rein. Weltklasse ist kein Selbstläufer. Im Fußball haben wir die richtigen Strukturen. Im Rudern müssen wir daran noch arbeiten.
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