Rekonstruieren oder restaurieren?
Initiatoren für Rettung des Nicaragua-Giebels müssen ihr bisheriges Konzept überdenken
Christel Schemel bekommt Gänsehaut, wenn sie auf den Giebel des Lichtenberger Hauses blickt. »Mir läuft ein Schauer über den Rücken, weil niemand daran glaubte, dass das originale Wandbild in einem so guten Zustand ist«, sagt die 63-Jährige.
Hinter dem Baugerüst sind deutlich farbintensive Szenen zu erkennen, die der nicaraguanische Künstler Manuel Garcia Moia vor 30 Jahren auf eben dieser Fassade verewigte. Sein Heimatdorf Monimbo stellte er dar: Das Bild erzählt vom Kampf der Indigenen, aber auch von ihrem Alltagsleben sowie der Schönheit der Natur.
Doch eben dieses Original war vor zehn Jahren hinter einer dicken Dämmschicht verschwunden. Christel Schemel und einer Handvoll Gleichgesinnter ist es zu verdanken, dass damals eine Kopie gefertigt wurde, die allerdings nicht lange hielt. Wie berichtet, bröckelte nach und nach die neu aufgebrachte, bunte Fassade. Schließlich ordnete das Lichtenberger Bezirksamt 2013 den vollständigen Abriss der Wandbild-Kopie an. Es folgten Rechtsstreitigkeiten zwischen Hauseigentümer, Baufirma und Farbhersteller, die aber mittlerweile beigelegt sind.
Und wieder wurde die Initiative, die beim Kulturring Berlin e. V. angesiedelt ist, aktiv. Aktuell läuft eine Spendenaktion für die Rekonstruktion des Garcia-Wandbildes. 53 000 Euro sind für die künstlerische Arbeit nötig. Für die Fassadensanierung stehen 49 000 Euro Versicherungsgelder zur Verfügung.
Als vor wenigen Tagen damit begonnen wurde, die Dämmung abzuklopfen, ahnte niemand, was das für Folgen haben könnte. »Das Bild ist wirklich gut erhalten«, betont Klaus-Michael Baltruschat vom MBD Bauservice.
Doch die Freude über das wieder sichtbare Original-Kunstwerk wirft viele Fragen auf. »Wahrscheinlich schmelzen nun unsere bisherigen Pläne für eine Rekonstruktion dahin«, sagt Hans-Joachim Schemel. »Wir müssen neu überlegen«, betont auch seine Frau. Die meisten Mitglieder der Initiative, die sich kürzlich an der Skandinavischen Straße 26 trafen, wünschen sich eine Restaurierung des Originals. »Es wäre traurig, wenn eines der weltweit größten Wandbilder naiver Malerei nun endgültig verschwindet«, betont Gabriele Senft, die bereits zur Einweihung 1985 mit ihrem Fotoapparat vor Ort war.
Noch weiß niemand eine abschließende Antwort. »Wir wollen auf jeden Fall weitere Experten befragen und Kontakt zur oberen Denkmalschutzbehörde Berlins aufnehmen«, betont Christel Schemel. Baltruschat betont ebenso: »Man sollte neu und in alle Richtungen überlegen, und nicht ohne links und rechts zu schauen das Rekonstruktions-Konzept umsetzen.«
Der Berliner Architekt Christoph Schwan, der die Initiative seit mehreren Jahren begleitet, favorisiert allerdings nach wie vor »den Neuaufbau des Gemäldes«. Aus seiner Sicht müsse der Giebel von Grund auf frisch verputzt werden, denn der alte sei nicht zu retten. »Außerdem kostet eine Restaurierung rund 300 000 Euro«, erklärt Schwan.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.