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Im Notfall mit Zwang

Brüssel pocht auf Regeln / Pro Asyl: »Dublin ist tot«

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Es wird eine angespannte Atmosphäre herrschen, wenn Ungarns Regierungschef Viktor Orban an diesem Donnerstag EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, in Brüssel besucht. Juncker soll Orban beim EU-Gipfel im Mai bereits mit »Hallo, Diktator« begrüßt haben. Viel freundlichere Worte wird der Luxemburger wohl auch jetzt nicht für den Rechtspopulisten übrig haben. In der aktuell so drängenden Flüchtlingsfrage schiebt Ungarn die Verantwortung von sich. Am Dienstag sandte Brüssel schließlich Warnbriefe an mehrere EU-Länder, um die Einhaltung des Schengener Grenzkodex’ und des sogenannten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems einzufordern. Unter den Empfängern dürfte auch Budapest gewesen sein.

Nach Angaben aus EU-Kreisen wurde eine zweistellige Zahl von Schreiben verschickt. »Ziel ist es nicht, Staaten vor Gericht zu bringen, sondern wir wollen, dass die Regeln vor Ort eingehalten werden«, erklärte eine Kommissionssprecherin. Die Briefe seien eine Art »letzte Warnung« vor der Eröffnung neuer Vertragsverletzungsverfahren. Brüssel mahnte insbesondere die ungarische Regierung an, Flüchtlinge zu registrieren und nicht einfach weiterreisen zu lassen.

Dass Ungarn nun ausgerechnet deswegen Sanktionen drohen, weil die Behörden am Montag kurzzeitig ein paar tausend Menschen in Zügen davonfahren ließen, wirkt absurd. Ungarn wird seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen für seinen Umgang mit Migranten und Minderheiten kritisiert. Brüssel jedoch besteht auf die Einhaltung der Dublin-Verordnung, wonach Flüchtlinge nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen dürfen, in das sie zuerst eingereist sind. In den allermeisten Fällen ist dies Italien oder Griechenland.

Für Karl Kopp von Pro Asyl ist die Dublin-Verordnung längst gescheitert. »Dublin ist tot«, sagt der Europareferent der Menschenrechtsorganisation dem »nd«. Die einzig sinnvolle Maßnahme bestehe jetzt darin, die Verordnung auszusetzen. Kopp schließt sich damit dem Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, an. Der Lette forderte in einem Gastbeitrag für tagesschau.de, das »ungerechte Regelwerk, das den meisten EU-Mitgliedsstaaten erlaubt, die Verantwortung im Umgang mit Asylsuchenden auf wenige Länder an den EU-Außengrenzen zu verschieben«, grundlegend zu überprüfen. Deutschland habe bereits einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, indem es jüngst die Dublin-Regelung zumindest für syrische Flüchtlinge ausgesetzt habe. »Diese Entscheidung sollte auf alle Gruppen von Asylsuchenden ausgeweitet und von allen EU-Mitgliedsstaaten angewandt werden«, so Muiznieks.

Kopp geht einen Schritt weiter und fordert: »Lasst die Flüchtlinge aus Griechenland und Ungarn ausreisen. Man kann sie nicht aufhalten und man darf sie nicht in Lkws zwingen.« Dem Flüchtlingsexperten ist bewusst, dass ein nicht unerheblicher Teil der EU-Staaten dazu derzeit nicht bereit ist. »Es braucht jetzt ein Bündnis der Wohlmeinenden, derer, die noch für Flüchtlingsschutz, Solidarität und Menschenrechte eintreten«. Deutschland müsse hierbei eine zentrale Rolle spielen. Gegen die Staaten, die Grundfreiheiten und Menschenrechte verletzen, wie Ungarn, müsse mit Vertragsverletzungsverfahren, aber auch der Aussetzung von Stimmrechten Druck aufgebaut werden. »Wenn es nicht möglich ist, zu einer Verständigung zu kommen«, haben Staaten auch die Möglichkeit, aus der EU auszutreten», so Kopp.

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