Stadtführung zu den Lobbyisten
Ein Berliner Reiseführer bringt Licht ins Dunkel der diskreten Einflussnahme
Haben Sie schon einmal etwas von der Firma Deekeling Arndt Advisors (DAA) gehört? Wahrscheinlich nicht. Die diskrete Agentur gehört zu den sogenannten Auftragslobbyisten und entwickelt für ihre Kunden Strategien, »um die Durchsetzung unternehmerischer Ziele und Interessen zu sichern«. Im Jahr 2008 etwa beauftragte das Deutsche Atomforum die Agentur damit, Stimmung zu machen für eine Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerken, die Rot-Grün zuvor begrenzt hatte. Später von der »taz« geleakte Geheimpapiere zeigten, wie DAA dabei vorging. So startete man eine Kampagne »Energieverantwortung für Deutschland«. Erklärtes Ziel: Bis zur Bundestagswahl 2009 eine »Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen«. Dazu zählte die Platzierung wohlwollender Berichterstattung in der »Bild« ebenso wie die Instrumentalisierung des Historikers Arnulf Baring, der als scheinbar unabhängiger Kopf einen Pro-Atomkraft-Beitrag in der »Frankfurter Allgemeinen« unterbrachte.
Diese kaum bekannten Hintergründe beleuchtet Christina Deckwirth von LobbyControl während sie vor dem schicken Bürohaus am Berliner Karlplatz 7 steht, in dem auch DAA residiert.
Die lobbykritische Stadtführung, die an diesem Donnerstag nur für Journalisten stattfindet, bietet der Verein sonst auch für Normalbürgern an. Auf fünf verschiedenen Touren durch die schicke Berliner Innenstadt erfährt man viel über die diskrete Arbeit der etwa 5000 Interessenvertreter, die in der Hauptstadt aktiv sein sollen. Wer will, kann auch allein auf Erkundungstour gehen. LobbyControl hat dafür einen 324-seitigen »Reiseführer durch den Lobbydschungel« erstellt, dessen neueste Ausgabe am Donnerstag veröffentlicht wurde. »Lobbyismus bestimmt unseren Alltag«, betont Deckwirth, die auch als Autorin für den Reiseführer zuständig ist. »Der LobbyPlanet zeigt, wie kleinteilig die Lobbyszene inzwischen ist und wie sehr klare Transparenzregeln fehlen«, unterstreicht Deckwirth. Dabei wachse die Szene in Berlin und werde »gleichzeitig undurchsichtiger«, so Ulrich Müller, geschäftsführender Vorstand des Vereins. Seien früher nur große Verbände wie der Bundesverband der Industrie in der Hauptstadt vertreten gewesen, würden heute viele Unternehmen eigene Büros eröffnen, um ihre Partikularinteressen zu vertreten.
Etwa der Energiekonzern Exxon Mobil, der in seiner Hauptstadtrepräsentanz für weniger strenge Regeln beim Fracking wirbt. Auch Internetkonzerne wie Google oder Facebook sitzen mittlerweile in Berlin. Für politische Beobachter ist es gar nicht so einfach zu ermitteln, wer hier diskret für welches Anliegen wirbt.
Müller kritisiert das Fehlen eines verbindlichen Lobbyistenregisters im Bundestag. Tatsächlich gibt es im Parlament nur eine »öffentliche Liste«, in die Verbände eingetragen werden können. Doch grundsätzlich würden nur diejenigen Verbände aufgenommen, »die eine Aufnahme von sich aus beantragt haben«, wie es beim Bundestag heißt. Derweil agieren die Lobbyisten weiter unbeobachtet von der Öffentlichkeit. Etwa im »Ristorante Cinque« unweit des Deutschen Theaters, wo der Bundesverband Medizintechnologie, der rund 230 Unternehmen aus der Branche vertritt, einen Stammtisch für Mitarbeiter der Bundestagsfraktionen ausrichtet, wie der freie Journalist Dietmar Jazbinsek berichtet, der auch für LobbyControl tätig ist.
Christian Deckwirth plädiert am Donnerstag für die Einführung eines verpflichtenden Registers. Dort müsste auch nachzulesen sein wer mit welchem Ziel für die Organisationen arbeite. Wo die ehemalige Staatsministerin im Kanzleramt und Merkel-Vertraute Hildegard Müller tätig ist, erfährt man auch auf dem Stadtrundgang. Die CDU-Politikerin sitzt als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft in der Reinhardtstraße 32 und vertritt dort die Interessen von Stromkonzernen und kommunalen Unternehmen.
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