Wissenschaft im Dienste der Ökonomie

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Schon seit einigen Jahre rumort es im Wissenschaftsbetrieb. Professoren, Nachwuchswissenschaftler und Studierende sind zunehmend unzufrieden über die Schwerpunkte, die in der Forschung gesetzt werden. Dabei richtet sich die Kritik nicht nur an die Organisation der Wissenschaft oder an das Spardiktat, sondern auch an die Sinnlosigkeit ökonomisch ausgerichteter Forschung. Die Krisen der Welt rücken näher ins Zentrum der Aufmerksamkeit und erfordern ein Umdenken. Unter der Frage »Professoren, wo seid ihr?« fasst zeit.de kritische Aufsätze zusammen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beklagt darin das »Ende der Einmischung«, die die eigentliche Aufgabe von Wissenschaft sei. In bitterböser Sprache zeichnet er den Irrsinn einer Wissenschaft, die als ökonomisches Anreiz- und Belohnungssystem funktioniert, und verweist auf das Buch »Die Kunst des klaren Denkens« des Schriftstellers Rolf Dobelli (dobelli.com). Dieser zeigt anhand dreier Geschichten, wie Anreizsysteme in ihr Gegenteil umschlagen. »Im Hanoi der französischen Kolonialherrschaft entwarf man ein Gesetz, um die Rattenplage einzudämmen, und versprach jedem, der eine tote Ratte herbeischaffte, eine Prämie. Die Folge war, dass die Menschen Ratten züchteten. Die zweite Geschichte handelt von den Schriftrollen vom Toten Meer, die man 1947 entdeckte. Archäologen boten für neue Funde des uralten Pergaments eine Belohnung - mit der fatalen Konsequenz, dass gerade noch irgendwie zusammenhängende Schriftstücke zerkleinert wurden, um den maximalen Finderlohn einzuheimsen. Die dritte Geschichte ist ähnlich deprimierend: Sie berichtet von Bauern im China des 19. Jahrhunderts, die auf Prämien für Dinosaurierknochen spekulierten, diese ausgruben, um sie dann in Gedanken an ihren Eigenvorteil in Stücke zu hauen.«

Ähnliches widerfahre heute der Forschung, meint Pörksen. Drittmittel und Publikationen seien die heute geltenden Anreizsysteme. Sie hätten den »Zorn« über Krisen der Welt als Anreizsystem abgelöst und den Intellektuellen, deren Eigenart die allgemein verständliche »zeitdiagnostische Deutungsarbeit« war, verdrängt. Stattdessen hätten naturwissenschaftliche Erkenntnismethoden mit ihrem »scheinbar objektiven Messideal« die führende Rolle übernommen. Sozialwissenschaften liefen Gefahr, sich abzuschaffen. Dies sei fatal, so Pörksen weiter, da Antworten auf Krisen dieser Welt »heutige und künftige Gesellschaften« bestimmten. Fragen zu Migrationsbewegungen, Kriegen, zum Klimawandel, zur Datensicherheit und Überwachung oder zur »Krise des Kapitalismus und der europäischen Idee samt Wiederaufflammen des Nationalismus« suchten nach Antworten. Das alles seien Themen, die sich »drängend und lärmend, manchmal blutig und bestialisch in das öffentliche Bewusstsein schieben« und nach einer »kollektive Anstrengungen des Denkens« riefen. Laut Pörksen brauchen wir eine »Renaissance wirklichkeitsnaher Fantasie«. Lena Tietgen

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