Berliner unterscheiden sich in den Werten nach Ost und West

Sozialbericht über Veränderung der Lebensverhältnisse im letzten Jahrzehnt

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Weitere Infos: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg eV, Köpenicker Straße 125, 10179 Berlin, Tel: (030) 283055560; Fax: (030) 28305561.
Zum dritten Mal seit 1993 legte das Sozialwissenschaftliche Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (SFZ) ein Sonderheft zu den Lebensverhältnissen in der Bundeshauptstadt Berlin vor. Dazu wurden im August 2000 mehr als 700 Bürger in West- und Ostberlin befragt. ND gibt im Folgenden redaktionell bearbeitet den Abschnitte4 »Einheit-Identifikation« sowie 5»Demokratie« wieder.

Berlin ist mit der und durch die Vereinigung die Stadt Deutschlands mit den gravierendsten Veränderungen. Es ist die Stadt, die durch die Mauer in zwei Stadtteile gespalten wurde und in der sich über die Jahre eine bis heute wirkende/nachwirkende Eigenständigkeit in fast allen Bereichen des Lebens, der Wirtschaft, der Kultur, der Infrastruktur, der politischen Struktur und vieles anderem mehr erhalten oder herausgebildet hat. Mit der Vereinigung waren die Chancen auf eine rasche Angleichung der Lebensverhältnisse und der Integration beider Teile der Stadt in ein neues (altes) Ganzes ebenso gegeben, wie eine Konfrontation des Gegensätzlichen nicht zu übersehen war. Die durch die Vereinigung möglich gewordene Entscheidung, Berlin zur Bundeshauptstadt zu machen, war und ist bis in die Gegenwart mit grundlegenden wirtschafts- und infrastrukturellen Veränderungen und ihren Auswirkungen auf die Menschen in Ost und West verbunden. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass es weder im Ostteil der Stadt noch im Westteil Bürger bzw. Familien gibt, die nicht in dieser oder jener Weise, positiv wie negativ, von diesen Wandlungen betroffen waren/sind. Die Frage nach Gewinnen und Verlusten der Einheit wird nach wie vor in Ost- und Westberlin unterschiedlich bewertet.

Gewinner und Verlierer in beiden Stadthälften
In Westberlin geben 29 Prozent der Befragten an, dass 10 Jahre Einheit für sie vor allem Gewinne sind - in Ostberlin sind das nur 20 Prozent. Mehr und vor allem Verluste sehen 27 Prozent in Westberlin und 22 Prozent in Ostberlin.
Männer sehen in beiden Stadtteilen wesentlich mehr Gewinne durch die Einheit als Frauen, wobei die Westberliner Männer zu 61 Prozent sich für mehr oder vor allem Gewinne entscheiden. In Ostberlin finden dies 55 Prozent der Männer.
Frauen bewerten die Entwicklung kritischer: 44Prozent der Ost- und 28 Prozent der Westberlinerinnen bestätigen sowohl Gewinne als auch Verluste. Darüber hinaus verzeichnen Westberliner Frauen am stärksten Verluste.
Eine hohe Verlustbetroffenheit wird auch durch Arbeitslose im Westteil festgestellt (48 Prozent). Das gilt auch für Arbeiter im Westteil der Stadt.
Betrachtet man die Bewertung der Gewinne und Verluste im Einzelnen, ist festzustellen:
Erstens: Die Betroffenheit sowohl von Gewinnen als auch von Verlusten ist sowohl in West- wie in Ostberlin hoch. In diesem Sinne lassen sich weder Gewinner noch Verlierer der Einheit festmachen, sondern - wenn auch in unterschiedlichem Maße - ist jeder in diesem oder jenem Bereich mit Gewinnen oder Verlusten konfrontiert.
Zweitens: An der Spitze der Gewinne im Ostteil der Stadt stehen verbesserte Möglichkeiten bei Waren und Dienstleistungen (78Prozent sehen dies als Gewinn) sowie die ausgedehnten Möglichkeiten des Kennenlernens fremder Länder und Kulturen (Reisen - 70 Prozent Gewinn).
Westberliner sehen Gewinne vor allem im Bereich der Kultur (55 Prozent), der persönlichen Freiheit (55), dem Wegfall von Mauer, Grenzkontrollen, Zollbarrieren, aber auch des Reisens (sicher eher bezogen auf das nähere Umland). Aber auch ein verbessertes, vielfältigeres Waren- und Dienstleistungsangebot wird positiv (45 Prozent Gewinn) hervorgehoben.
Über die genannten Gewinnbereiche hinaus werden in Ostberlin als positiv hervorgehoben: persönliche Freiheit (52 Prozent), Vereinsvielfalt (52), Wohnen (33).
Drittens: Ost- wie Westberliner sehen Verluste seit 1990 vor allem im Bereich Arbeit: Westberliner (57 Prozent), Ostberliner (58). Das hohe Maß des Arbeitskräfte»druckes« aus Ostberlin - bei entsprechender Qualifikation - hat auch in Westberlin zu einer bedeutenden »Freisetzung« von Arbeitskräften geführt, es vollzog sich hier eine »Angleichung«.
Viertens: Verluste werden auch im Bereich sozialer Sicherheit sowohl in Ost- wie Westberlin gesehen. Dabei spielen sicher im Ostteil die Vergleiche zur Zeit vor 1990 eine größere Rolle, während in Westberlin die Veränderungen im sozialen Leistungssystem weniger als allgemeines Problem der Entwicklung in der Bundesrepublik, sondern als »einheitsbedingt« gewertet werden (und auch so von den Medien verkauft werden). Die allgemeine soziale Verunsicherung gilt für Ost wie West. Negativ gewertet wird auch die Entwicklung im Bereich persönlicher Sicherheit in Ost wie West.
Der Prozess der Integration bzw. Nichtintegration von Bürgern der neuen Länder in die Bundesrepublik Deutschland wird in hohem Maße durch die spezifischen Wertestrukturen in beiden Teilgesellschaften beeinflusst. Das gilt auch für Ost- und Westberlin. Unmittelbar nach der Wende war man davon ausgegangen, dass sich die Wertestrukturen Ost- und Westdeutschlands rasch angleichen würden - sollte heißen, dass die Wertestrukturen der Bürger der neuen Bundesländer sich denen der alten »anpassen«.

Sozialisation spielt entscheidende Rolle
Inzwischen hat sich herausgestellt: Das, was Ost und West nach wie vor unterscheidet, sind durch unterschiedliche Sozialisation und Lebensverläufe geprägten Wertestrukturen. Gerade für Integration und Identitäten sind die Werte und die Wertestrukturen von besonderem Einfluss. Es kann davon ausgegangen werden, dass für Ostberlin wie für Ostdeutschland insgesamt gilt: eine sich wandelnde, aber generell noch von der Sozialisation der vergangenen Jahrzehnte geprägte Wertestruktur mit einem hohen Stellenwert für Arbeit, Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienpflichten und soziale Sicherheit. Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Ostdeutschen gründen sich auf andere Erfahrungen in Bezug auf ein gleiches Recht auf Arbeit, Ausbildung und Einkommen als Grundlagen individueller und familiärer Existenz, sie gründen sich auf neuen Erfahrungen mit Demokratie und gesellschaftlicher Mitwirkung.
Für die Menschen Ostdeutschlands ist die Vereinigung nicht nur mit einschneidenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, im Bereich der Konsumtion, im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen und anderem verbunden, sondern gleichermaßen damit, dass nach wie vor individuelle Wertestrukturen mit einem nichtadäquaten vorherrschenden Wertesystem der Menschen im westlichen Teil Deutschlands konfrontiert werden.
Betrachtet man Wertestrukturen und Werte»gewichte« in Ost- und Westberlin, so ist festzustellen:
Arbeit und soziale Sicherheit: Diese beiden Werte stehen im Zentrum der Werte~hierarchie der Bürger in Ostberlin. Dabei handelt es sich um jene Bereiche, in denen die Einschnitte für alle Ostberliner - unabhängig von Alter, Geschlecht und Qualifikation - am gravierendsten waren. Neben die für Ostdeutsche völlig neuen Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit, Ersatzbeschäftigung, fehlenden Arbeitsplätzen für Jugendliche, Frauen und Behinderte sind auch soziale Unsicherheiten getreten, die sich weniger an den vorhandenen Leistungssystemen orientieren, sondern an einer ständig in Gang gehaltenen Diskussion um Abbau und Verschlechterung der Leistungsbedingungen und -höhe.
Im Gegensatz dazu bestimmen in Westberlin Gesundheit, Partnerschaft und Arbeit relativ gleichwertig die Wertestrukturen. Soziale Sicherheit nimmt in Westberlin einen mittleren Rangplatz ein. Deutlich wird die bei jungen Altersgruppen zunehmende Übereinstimmung und Anpassung an »westliche« Muster wie die unterschiedlichen bis in die Gegenwart wirkenden Sozialisationsbedingungen erkennbar bleiben.
Partnerschaft, Kinder und Gesundheit: Diese einstmals als am wichtigsten wahrgenommenen sozialen Lebensbezüge im Ostteil sind, obwohl sie noch immer eine hohe Wertigkeit besitzen, in ihrer persönlichen Bedeutung inzwischen Werten wie Arbeit, soziale Sicherheit und bezahlbare Wohnung nachgeordnet. Deutliche Differenzierungen zwischen Ost und West treten auch im Stellenwert von Kindern für das eigene Leben hervor (auch hier weniger bei den jüngeren Bürgern als bei den älteren). Gegensätzlich sind in Ost und West die Positionen in Bezug auf Lebensbereiche, die für das Leben des Einzelnen unwichtig sind bzw. für unwichtig/weniger wichtig gehalten werden:
Religion - 82 Prozent unwichtig/weniger wichtig in Ostberlin; 60 in Westberlin;
Kinder 13 Prozent in Ost-, 21 in Westberlin;
Demokratie 7 Prozent in Ost-, 3Prozent in Westberlin.
Übereinstimmungen zwischen Ost- und Westberlin werden insbesondere erzielt in Bereichen des individuellen Lebens wie persönliche Sicherheit, Freizeit, bezahlbares Wohnen, Partnerschaft. Bezogen auf Ostberlin hat sich die frühere Dominanz persönlicher und auf die Familie gerichteter Orientierungen merklich relativiert, sie treten inzwischen unübersehbar hinter Fragen und Problemen der Existenzsicherung zurück. Diese Veränderungen lassen jedoch den Schluss eines generellen Wertewandels, beispielsweise von einer arbeits- zur freizeitorientierten Gesellschaft, keinesfalls zu.
Berlin ist - trotz der Trennung von 1961 bis 1990 - eine auf gemeinsame Traditionen bauende einheitliche Stadt und hat ohne Zweifel im Ost-West-Beziehungsgefüge einen besonderen Status. Nicht nur eine Vielzahl enger verwandtschaftlicher Bande, nicht nur eine seit 1990 zunehmende vereinheitlichende Politik, sondern vor allem das stärker werdende Geflecht ökonomischer Strukturen zwischen Ost und West beschleunigen den Prozess des Fühlens als Ost- und Westberliner. Und trotzdem haben die Jahre der Trennung - vor allem durch unterschiedliche Sozialisationen, Erwerbsbiografien, Werte~strukturen und Lebensvorstellungen - nach wie vor ein unterschiedliches Maß an Identifikation mit dem engeren und weiteren Umfeld hervorgebracht. Die Frage nach der gefühlsmäßigen Verbundenheit verdeutlicht:

Stärkste Bindung zum eigenen Stadtbezirk
Erstens: Es gibt - bezogen auf die Aussage »stark verbunden« und »ziemlich verbunden« - keine Unterschiede in der gefühlsmäßigen Verbundenheit mit dem Stadtbezirk, in dem man lebt. 65 Prozent der Ostberliner und 67 Prozent der Westberliner fühlen sich mit ihrem Stadtbezirk verbunden.
Zweitens: In Bezug auf die Identifikation mit Berlin fühlen sich Westberliner in höherem Maße »stark verbunden« (46Prozent, Ostberlin30), im Osten überwiegt die Aussage »ziemlich verbunden« (46). Sowohl in Ost- wie Westberlin ist die Identifikation mit Berlin als einheitlicher Stadt im Vergleich zum Stadtbezirk, in dem man lebt, am höchsten ausgeprägt.
Drittens: Stellt sich die Identifikation mit Berlin in Ost und West - in unterschiedlichen Abstufungen - mit einer insgesamt positiven Bindung dar, sind die Positionen zur Bundesrepublik deutlich durch Gegensätzlichkeiten geprägt. Gefühlsmäßig verbunden mit der Bundesrepublik (»stark« und »ziemlich«) sind in Westberlin 75Prozent (25 Prozent »wenig«/»gar nicht verbunden«). Im Ostteil fühlen sich nur 50Prozent mit der Bundesrepublik verbunden und 49Prozent wenig bzw. gar nicht. Hier reflektieren sich eindeutig der Sozialisationsverlauf der vergangenen Jahrzehnte sowie die damit verbundenen »Vergangenheits«identifikationen, sicher aber auch die Art und Weise des Vereinigungsprozesses.
Viertens: Eine sich notwendig zu vollziehende Identifikation mit der Europäischen Gemeinschaft ist sowohl im Westteil (17 Prozent »stark verbunden«) als auch im Ostteil (10) erst in Ansätzen erreicht. Im Westteil sind jedoch insgesamt die Bindungen höher als im Osten.
Fünftens: In Bezug auf das nähere und weitere Umfeld im Sinne der über Jahrzehnte geprägten Strukturen (Ostberlin/Westberlin, alte Bundesländer/neue Bundesländer) sind die gefühlsmäßigen Bindungen eindeutig »historisch« beeinflusst, geprägt aber auch durch noch bestehende Ungleichheiten in den Lebensverhältnissen, durch die Art und Weise der Vereinigung und den Umgang miteinander.
Dabei hat die jahrzehntelange Situation der Westberliner zu einem wesentlich höheren Maß an Identifikation mit Westberlin (34 Prozent fühlen sich »stark verbunden«) beigetragen als das für den Ostteil zutrifft (26), wie andererseits die Bindung Ostberlins an die neuen Ländern stärker ausgeprägt ist als die der Westberliner an die alten Länder. Dies ist offensichtlich in höherem Maße eine sich an Deutschland orientierende Verbundenheit als an den Verbund »alte Bundesländer«.
In einer demokratischen Gesellschaft zu leben, war für die übergroße Mehrheit der Ostdeutschen, die Ostberliner eingeschlossen, eines der Hauptmotive für die friedliche Revolution im Herbst 1989. Einer anfänglichen Euphorie stand relativ schnell - auch bedingt durch die eingetretenen Veränderungen - ein Bedeutungsverlust dieses Wertes gegenüber. So halten in Ostberlin 73Prozent der Befragten »in einer demokratischen Gesellschaft zu leben« für sich für wichtig, davon für sehr wichtig 31 Prozent bzw. wichtig 44. Vergleichsweise ist es in Westberlin für 50Prozent sehr wichtig und für 35 Prozent wichtig, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Ist dieses in Ostberlin eher für Männer sehr wichtig, sind es in Westberlin in höherem Maße die Frauen.
Ohne Zweifel sind für die Haltungen zur Demokratie sowohl das politische Klima als auch die Möglichkeiten der eigenständigen verantwortungsbewussten Mitwirkung/Mitgestaltung wichtig. Von den Befragten fühlen sich im politischen Klima der Bundesrepublik 34 Prozent der Ostberliner wohl und 63 Prozent unwohl, während sich von den Westberlinern 54 Prozent wohl und 42 Prozent unwohl fühlen. Von den Ostberlinern fühlten sich zum Zeitpunkt der Befragung 26 Prozent im politischen Klima wohler als 1989/90, 14 Prozent gleich wohl bzw. 22 Prozent gleich unwohl, 33 Prozent fühlten sich weniger wohl (4 Prozent: ich weiß nicht). Eine analoge Aussage wird auch von den Westberlinern getroffen, von denen sich 25 Prozent heute wohler, 30 Prozent gleich wohl bzw. 8 Prozent gleich unwohl, aber 31 Prozent weniger wohl fühlen (6 Prozent: ich weiß nicht).
Der Anteil der Unzufriedenen ist sowohl in Ost- wie Westberlin verhältnismäßig hoch. Offensichtlich ist, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung mit den direkten Einflussmöglichkeiten zufrieden ist. Demokratie wird im Ostteil Berlins eher von Frauen als Mittel zur Veränderung gesehen, im Westteil eher von Männern.
Insgesamt ist das Interesse an Politik hoch ausgeprägt. Sowohl im Ostteil der Stadt als auch im Westteil geben 52 Prozent bzw. 54 Prozent an, sich stark bzw. sehr stark für Politik zu interessieren. Nur 10 Prozent im Osten und 13 Prozent im Westen haben wenig bzw. kein Interesse an Politik. Die politische Interessiertheit unterscheidet sich erheblich zwischen Männern und Frauen. Während in Ost- wie Westberlin nahezu drei Viertel der Männer politisches Interesse bekunden, zeigen Frauen dies deutlich weniger an.
Junge Befragte im Alter von 18 bis 24 Jahren sind in Ost- wie Westberlin gleichermaßen zu 43 Prozent politisch interessiert, junge Westberliner häufiger sehr stark als junge Ostberliner. Im Altersverlauf steigt in beiden Stadtteilen die politische Interessiertheit an.

Mitarbeit in sozialen Organisationen bevorzugt
Aus dem Erwerbsstatus erwachsen in Ost- und Westberlin erhebliche Unterschiede bezüglich der politischen Interessiertheit. Während Erwerbstätige in Ostberlin zu 54Prozent und in Westberlin zu 49Pro~zent starkes politisches Interesse anzeigen, bestätigen dies in Ostberlin 60Prozent der Arbeitslosen - von ihnen haben nur 2 Prozent kein politisches Interesse. In Westberlin hingegen äußern nur 30Prozent der Arbeitslosen starkes politisches Interesse, aber 46Prozent zeigen wenig oder überhaupt kein politisches Interesse an.
Die Bereitschaft zu eigenen Aktivitäten im Rahmen von Vereins- und Organisationsarbeit ist verhältnismäßig hoch ausgeprägt. Jeder vierte Befragte ist bereit, in Organisationen tätig zu werden, die sozial ausgerichtet sind. Andere Ziele sind wesentlich geringer ausgeprägt. Politische Interessenvertretung wird nach wie vor in Ost wie West als »Domäne« der Männer und soziale Arbeit als »Domäne« der Frauen verstanden.
Mit der politischen Vereinigung Deutschlands wurde auch in kürzester Frist das Institutionengefüge der Bundesrepublik für die neuen Bundesländer übernommen. In Berlin wurden damit für ein Drittel der Stadt grundlegende strukturelle Veränderungen vollzogen, während im Westteil ein Höchstmaß an Kontinuität gegeben war. Insofern werten die unterschiedlichen Aussagen der Ost- und Westberliner auch unterschiedliche Erfahrungen - einem lebenslangen Umgang mit Politikern, Parlamenten und Behörden einerseits stehen 10-jährige Erfahrungen in Ostberlin andererseits gegenüber.

Vertrauen in Parlamente und Regierung eher gering
Dabei ist allgemein festzustellen:
Erstens: Das Vertrauen in die jeweiligen Parlamente und Regierungen (Bund, Land) bzw. Ämter ist eher gering ausgeprägt. Es überwiegen Aussagen, dass es wenig bzw. kein Vertrauen gegenüber diesen Institutionen gibt.
Zweitens: Im Rahmen eines ohnehin geringen Vertrauens ist die Zustimmung im Westteil der Stadt durchgängig gegenüber den Institutionen höher. Das betrifft demokratisch gewählte Gremien ebenso wie Polizei und Gerichte.
Drittens: Das Vertrauen in die Bundesinstitutionen (Bundesregierung, Bundestag) ist größer als das gegenüber den Berliner Institutionen (Berlin insgesamt, Stadtbezirke).
Viertens: Das Vertrauen, welches den jeweiligen Regierungen entgegengebracht wird (Bundesregierung, Senat, Bezirksamt), ist - wenn auch nur geringfügig - höher als das den gewählten Abgeordneten entgegengebrachte.
Fünftens: Polizei und Gerichte besitzen höhere Vertrauensquoten als die »offiziellen« Politikgremien.
Sechstens zeigt das Vertrauen in die jeweiligen Regierungen und gewählten Parlamente zwischen Männern und Frauen keine gravierenden Unterschiede.
Siebentens ist das Vertrauen in die Bezirksämter und in die Bezirksverordnetenversammlungen vor allem in Ostberlin gegenüber dem Vertrauen in den Senat und in das Abgeordnetenhaus stärker ausgeprägt als in Westberlin.
Achtens haben Bürgernähe von Institutionen und Gremien sowie eigenes gesellschaftliches Engagement der Bürger großen Einfluss auf die Herausbildung von Vertrauen in Regierungen und Parlamente.

Weitere Infos: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V., Köpenicker Straße 125, 10179 Berlin, Tel: (030) 283055560; Fax: (030) 28305561;

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