Flüchtlinge: 
25 Fragen

Die Ankunft Tausender Zufluchtsuchender beherrscht Medien und Gespräche. Eine kleine Argumentationshilfe

Wieso kommen gerade jetzt so viele Menschen aus Syrien oder Afghanistan?

Ein kompliziertes Thema. Viele Syrer etwa sind schon länger unterwegs und machen sich erst jetzt auf den Weg nach Europa. Erst bewegten sie sich im Land selbst, später gingen viele in die Türkei, wo es für sie aber auch keinen Frieden gab. Am wenigsten übrigens für Kurden und alle, die nach Ankaras Meinung nicht gegen die «Richtigen» kämpften, sie haben es besonders schwer. Es wird jetzt immer deutlicher, dass Frieden nicht in Sicht ist. Da ist es die beste der schlechten Möglichkeiten, die gefährliche Überfahrt zu wagen – und sei es mit der ganzen Familie. Dass in Mitteleuropa jetzt so viele ankommen, hat auch damit zu tun, dass Staaten wie Italien oder Griechenland, die nach den geltenden EU-Bestimmungen für die Ankommenden zuständig werden, überfordert sind und die Flüchtlinge weiterreisen lassen.

Warum kommen weiterhin so viele aus den Balkanstaaten?

Diese Flüchtlinge aus dem zerschlagenen Jugoslawien stammen oft aus den kaum lebensfähigen Zwergstaaten Bosnien, Kosovo und Mazedonien. Dort zeigt sich jetzt: Es gibt keine Perspektive. Vor allem die Jungen machen sich also auf den Weg, wobei sie wenig zu verlieren haben. Das Risiko einer Seepassage gibt es nicht. Im schlimmsten Fall werden sie zurücktransportiert.

Ist es nicht merkwürdig, dass das immer junge und kräftige Männer sind?

Dazu gibt es nur Erfahrungswerte. Angenommen, es sei so, gibt es dafür einen simplen Grund: Sie sind den Strapazen am ehesten gewachsen. Sie riskieren die Entbehrungen und die lebensgefährliche Überfahrt, um später Angehörige nachzuholen. Zudem «schicken» Großfamilien aus dem subsaharischen Afrika junge, starke Männer, damit sie Geld nach Hause schicken. Erfolg spricht sich dabei herum, Scheitern nicht. Diese Finanztransfers übersteigen in über einem Dutzend Staaten die volkswirtschaftlichen Exporterlöse. Ob der Eindruck aber generell stimmt, dass die meisten Flüchtlinge junge Männer seien, ist nicht sicher. Aus Syrien zumindest kommen derzeit vor allem ganze Familien.

Werden jetzt Terroristen eingeschleust?

Das ist natürlich nicht ausgeschlossen. Wer soll das mit Bestimmtheit wissen? Aber darf man deshalb Tausende sterben oder im Elend leben lassen? Es ist freilich auch nicht sehr einleuchtend, warum zum Beispiel der IS Terroristen ausgerechnet in einem maroden Boot nach Europa schicken sollte.

Warum haben viele Flüchtlinge Geld?

Es ist nicht genau bekannt, wie sich die Flüchtlinge sozial zusammensetzen. Unter ihnen sind Chemiestudentinnen, Betriebswirte, Informatiker, aber auch Gemüsehändler und Ungelernte. Selbst wenn es überproportional Akademiker wären, die in ihren Ländern zur Mittelschicht gehören, was will dieser Hinweis sagen? Ohne soziologische Studien angestellt zu haben: Sicher sind unter den Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan vor allem jene, die genug Geld haben oder sich genug Geld leihen konnten, um Fahrkarten zu kaufen, Schleuser zu bezahlen und Beamte zu bestechen. Aber dies hat einen einzigen Grund: Es gibt keinen legalen Weg ins sichere Europa. Die Aufnahmeprogramme des Bundes für insgesamt 20 000 syrische Flüchtlinge reichten nicht aus.

Warum haben die so teure Smartphones?

Warum sollten sie keine haben? Zudem sind diese oft gar nicht so modern. In Afrika etwa boomt der Markt für Mobiltelefone, doch die Geräte sind nur optisch auf dem Stand der europäischen. Sie haben weniger Leistung und keine oder schlechte Kameras. Im Nahen Osten kursieren massenhaft gebrauchte Geräte. Dass die meisten Flüchtlinge Handys besitzen, liegt an deren unschätzbarem Wert auf ihrem Weg. Mit Handys können sie mit ihren Familien Kontakt halten, sich untereinander oder mit Fluchthelfern und Schleusern koordinieren. Über Ortungsfunktionen kann etwa überprüft werden, ob man am ausgemachten Ort abgesetzt wurde. Forscher betonen auch, dass die Geräte im Notfall verkauft werden und so als Notreserve dienen können.

Warum müssen Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern, die nicht abgeschoben werden, so lange warten, bis sie registriert und untergebracht werden?

Weil die Behörden überfordert sind. Es wurde sehr langsam auf die Lage reagiert. Erst jetzt werden neue Stellen beim Migrationsamt geschaffen. Oft sollen Mitarbeiter der Arbeitsagenturen oder Bürgerämter einspringen. Die müssen sich erst einarbeiten.

Wie lange bleiben die Flüchtlinge?

Darauf ist schwerlich eine pauschale Antwort zu geben. Sie bleiben, solange sie nicht zurückkönnen oder wollen. Der Krieg in Syrien dauert vier Jahre, in Afghanistan herrscht nach bald 15 Jahren keine Sicherheit. Viele von ihnen werden deshalb lange bleiben – und wenn sie hier Fuß fassen, vielleicht auch für immer.

Können wir wirklich alle aufnehmen?

Das verlangt niemand von Deutschland. In viel kleineren viel ärmeren Staaten wie Jordanien oder Libanon leben seit Jahren Hunderttausende Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten. Allein Libanon etwa hatte Ende 2014 800 000 Syrer aufgenommen – bei nur 4,5 Millionen eigenen Einwohnern. Laut UNHCR sind weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht, neun von zehn leben in Entwicklungsländern. Es stimmt: Auch andere EU-Länder müssten mehr tun. Allerdings sprach Deutschland nicht von «gerechter Lastenverteilung», solange die Flüchtlinge hauptsächlich in Griechenland oder Italien strandeten. Und nur weil andere sich verweigern, können wir nicht aufhören, Menschen zu helfen.

Soll ausgerechnet unser Asylrecht die Probleme der ganzen Welt lösen?

Das kann es sicher nicht. Unsere Politik sollte aber auch nicht zu diesen Problemen beitragen. Natürlich sind die Industriestaaten nicht allein verantwortlich für Misswirtschaft, Despotie und Bürgerkriege. Sie sind aber auch nicht unbeteiligt. Über viele Jahre haben europäische Staaten autoritäre Regime gestützt. Die Kriege, die die USA mit ihren Verbündeten etwa in Irak oder in Afghanistan geführt haben, lösten neue Fluchtbewegungen aus. Europa hat den NATO-Staat Türkei nicht gehindert, den IS aufzurüsten. Deutschland hat Waffen in diese Region exportiert.

Bekommen jetzt Flüchtlinge das Geld, das etwa für Schwimmhallen fehlt?

Es ist in der Tat ein Skandal, dass im reichen Deutschland Schwimmhallen schließen oder horrenden Eintritt verlangen. Aber das Geld fehlt ja nicht erst, seit Menschen aus Syrien ankommen, sondern schon seit vielen Jahren. Weil auf Steuereinnahmen verzichtet wird, weil Umverteilung verweigert wird, weil es keine Vermögenssteuer gibt, weil Beamte nicht in die Sozialkassen zahlen. Es gäbe viele Möglichkeiten, die Haushalte zu füllen. Dann reichte es auch noch für Fahrradwege und Bibliotheken.

Was kostet das alles eigentlich?

Bis zu sechs Milliarden Euro will der Bund für Unterbringung, Sozialleistungen und Deutschkurse bereitstellen. Die Summe ist abhängig davon, wie viele Asylbewerber anerkannt werden, wie umfangreich Bleibende vermittelt werden können und wie viele Familien nachkommen.

Woher soll das Geld kommen?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat gesagt, am Geld werde diese Herausforderung nicht scheitern. Darüber kann man sich wundern, immerhin scheitert sonst vieles am Geld. Fakt ist, dass Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen im ersten Halbjahr 2015 rund 21 Milliarden Euro Überschuss erzielt haben. Selbst wenn Einschränkungen nötig wären: Wollen Sie diese Menschen wirklich im Mittelmeer oder im Bürgerkrieg sterben lassen? Es ist menschlich geboten, Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. Da kann man nicht irgendwann Stopp rufen. Sonst knickte man vor Kaltherzigen und Rassisten in diesem Land ein. Es gibt einen Witz, der die Situation recht treffend beschreibt: Ein Banker, ein Normalbürger und ein Flüchtling sitzen zusammen am Tisch. In der Mitte liegen zwölf Kekse. Der Banker nimmt sich elf davon und sagt zum Normalbürger: «Pass bloß gut auf, der Flüchtling schielt auf deinen Keks!

Können unsere Wirtschaft und unser Sozialsystem einen solchen Zustrom auf Dauer überhaupt verkraften?

Das ist nicht viel mehr als ein Vorurteil. Erst im Herbst 2014 ergab eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), dass die 6,6 Millionen Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass haben, im Jahr 2012 rund 22 Milliarden Euro mehr in die Sozialkassen gezahlt haben, als an sie ausgezahlt wurde. Pro Kopf sind das jährlich 3300 Euro. Man kann also davon ausgehen, dass durch die Flüchtlinge Geld in die Kassen zurückfließt, wenn man es zulässt, dass sie hier wirklich ankommen, eine Arbeit annehmen oder ein Gewerbe gründen. Auch wenn heute viele »Wirtschaftsexperten« diesen Zusammenhang in Abrede stellen, bedeutet ein Mehr an Menschen auch ein Mehr an wirtschaftlicher Nachfrage und kann Wachstum generieren.

Ist das nicht ziemlich kalt gerechnet?

Stimmt. Aber wenn es dazu führt, dass Deutschland seine Verantwortung wahrnimmt, kann man durchaus darauf hinweisen.

Warum können die vielen offenen Stellen etwa im Pflegebereich nicht mit Flüchtlingen besetzt werden?

Man muss unterscheiden zwischen Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen. Asylbewerber und Geduldete dürfen erst nach drei Monaten arbeiten. Haben sie einen Job in Aussicht, wird geprüft, ob es keine geeigneten deutschen oder EU-Bewerber gibt. Flüchtlinge mit humanitärem Flüchtlingsstatus wie etwa aus Syrien erhalten sofort eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Für sie gilt kein Arbeitsverbot. Dennoch haben sie es schwer, etwas zu finden. Das liegt an fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch an der Nichtanerkennung ihrer Qualifikationen. Menschen in Not können kaum die Fehler unseres Sozialsystems ausbügeln – gegen vernünftige Ausbildungsplätze ist aber nichts einzuwenden.

Kann Migration unsere demografischen Probleme lösen?

Viele sagen das. Der Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Derks, hält etwa Anti-Asyl-Demonstranten entgegen: »Wer heute gegen Zuwanderung demonstriert, gefährdet seine eigene Rente.« Das Problem an diesem Argument ist, dass es Menschen nach ihrem Nutzen betrachtet. Zudem ist die Demografiedebatte zu einem guten Teil nur Panikmache. Das Verhältnis zwischen Alten und Jungen ist nur ein Teil der Geschichte. Wenn z. B. die Produktivität steigt, dann können auch weniger mehr Menschen versorgen. Relevant ist die Relation zwischen gesellschaftlichem Reichtum und zu finanzierenden sozialen Ausgaben. Klar ist: In Deutschland wird genügend Reichtum erwirtschaftet, um ein sorgenfreies Leben für Alte wie Junge zu ermöglichen.

Wir brauchen also Zuwanderung, auch um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Der »Fachkräftemangel« ist hausgemacht: Um 2000 drückte man sich, auch über den Bedarf hinaus auszubilden. Fünf Millionen Arbeitslose und Unterbeschäftigte stehen daher den freien Stellen gegenüber. Jetzt ruft man nach anderswo ausgebildeter Arbeitskraft und will Löhne drücken: Die Forderung, den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge rasch zu öffnen, wird oft von derjenigen nach neuen Niedriglohngruppen begleitet, etwa bei den Metallarbeitgebern. Es gilt darauf zu achten, dass ein solches Ausspielen von Menschen nicht gelingt: durch eine Stärkung des Tarifsystems.

Sind die Schulen auf so viele Flüchtlingskinder ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen vorbereitet?

Die Kinder besuchen zuerst altersgemischte Sprachlernklassen, nach drei bis sechs Monaten sollen sie dann in reguläre Klassen verteilt werden. Die Länder verzichten wie Rheinland-Pfalz auf den geplanten Abbau von Lehrerstellen oder stellen wie Berlin Quereinsteiger ein. Absehbar sind es jedoch zu wenig für bis zu 400 000 Kinder, die allein in diesem Jahr mehr die Schulen besuchen. Zudem fehlen Sozialarbeiter und Psychologen. Die GEW fordert deshalb 10 000 neue Lehrer.

Ist es nicht richtig, Flüchtlinge mit wirtschaftlichen Motiven abzulehnen?

Die Grenze zwischen Verfolgung und wirtschaftlichen Motiven ist fließend. Die vielen Roma unter den »Balkanflüchtlingen« etwa werden abgelehnt, weil sie »nur« sozial ausgegrenzt sind und nicht per Gesetz. Zudem operiert man im Zirkelschluss: 2012 wies das Innenministerium an, etwa serbische Anträge als »grundsätzlich aussichtslos« zu betrachten – später fordert die Politik aufgrund der von ihr selbst bestellten hohen Ablehnungsquote eine Einstufung als »sicheres Herkunftsland«. Selbst die Schweiz anerkennt viele Flüchtlinge aus diesen Ländern. Rechtlich problematisch ist es, Antragsteller je nach vermutetem Ausgang des Verfahrens schon zu dessen Beginn unterschiedlich zu behandeln.

Werden Flüchtlinge auch innerhalb Deutschlands ungerecht verteilt?

Zuerst landen die meisten Ankommenden in München. Dort bleiben aber nicht alle, sondern werden nach dem »Königsteiner Schlüssel« auf die Bundesländer verteilt. Große Länder mit hohen Steuereinnahmen müssen mehr Asylbewerber aufnehmen als Stadtstaaten oder finanzschwächere Bundesländer.

Haben wir denn genug Platz für so viele?

Hektisch eröffnete Notunterkünfte suggerieren: Wir haben nicht genug Platz, die neu ankommenden Flüchtlinge unterzubringen. Dabei war absehbar, dass künftig mehr Flüchtlinge kommen würden. Die Behörden hätten sich darauf vorbereiten können, haben jedoch stattdessen viele Flüchtlingsunterkünfte geschlossen.

Jetzt helfen viele Leute auch privat. Ist das nicht problematisch, weil doch Staat und Wohlfahrtsverbände zuständig sind?

Ja und nein. Behörden und Großorganisationen hätten sich viel besser vorbereiten müssen. Dass Flüchtlinge in Berlin bei 30 Grad ohne Wasser vor der Erstaufnahme lagerten, war ein Skandal. Dennoch ist es gut, wenn sich viele engagieren, Flüchtlinge kennenlernen und ihnen vermitteln, dass sie hier sicher sind.

Wo und wie kann ich selbst helfen?

Zum Beispiel mit Sachspenden, Behördenbegleitung, Patenschaften, Deutschkursen. Haben sie eine Wohnung zu vermieten? Sinnvoll ist es, sich bei lokalen Initiativen oder Landesflüchtlingsräten über Bedarfe zu informieren. Oft wird man zweimal nachfragen müssen, weil die Ehrenamtlichen mit der Koordinierung kämpfen. Gehen Sie einfach mal bei einer Unterkunft vorbei oder zum Bahnhof, wenn Flüchtlinge ankommen. Auch Freundlichkeit hilft. Und im Gespräch entstehen die besten Ideen.

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