Tut sie es oder tut sie es nicht?
Die US-Notenbank berät bei ihrer Sitzung erneut über die längst angekündigte Zinswende - die Finanzmärkte sind in Schockstarre
Vor der Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche hält die Finanzwelt den Atem an: Macht die Federal Reserve (Fed) ernst mit der lange angekündigten Zinserhöhung? Noch im August waren sich viele Marktbeobachter sicher, dass Notenbankchefin Janet Yellen zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt den Leitzins anheben würde. Doch dann säten die Turbulenzen in China und die abrupte Abwertung des Yuan neue Zweifel am Zeitpunkt der Zinswende in den Vereinigten Staaten.
»Die Chancen stehen 50 zu 50«, sagt Paul Ashworth von der Finanzberatungsfirma Capital Economics. Einerseits verzeichnet die Wirtschaft in den USA ein robustes Wachstum, die Arbeitslosenquote liegt mit 5,1 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit April 2008. Andererseits täuschen diese Zahlen darüber hinweg, dass mehr als sechs Millionen Menschen in Teilzeit arbeiten, obwohl sie lieber einen Vollzeitjob hätten. Viele US-Bürger haben in den vergangenen Jahren wegen der trüben Aussichten die Jobsuche auch einfach aufgegeben. Und vom Inflationsziel von zwei Prozent sind die USA weiter deutlich entfernt - allerdings nicht wegen konjunktureller Schwächen, sondern vor allem wegen der niedrigen Energiepreise.
Die Sorgen, dass eine Anhebung des Leitzinses um 0,25 oder sogar um 0,5 Prozentpunkte für den Aufschwung in den USA zu früh kommen könnte, wurden in den vergangenen Wochen durch die Wachstumsschwäche in Schwellenländern und insbesondere in China verstärkt. »Das Bröckeln am chinesischen Aktienmarkt und die folgenden Reaktionen überall auf der Welt haben bestätigt, dass die USA anfällig bleiben für externe Schocks«, erklärt Analystin Kim Chase vom spanischen Finanzinstitut BBVA.
Der Leitzins ist der Satz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld leihen können. Dies schlägt sich in den Zinsen nieder, die Unternehmen und Verbraucher für ihre Kredite zahlen müssen. Notenbanken versuchen, mit dem Leitzins die Entwicklung von Konjunktur und Preisen in einer Volkswirtschaft zu beeinflussen. Liegt die Wirtschaft am Boden, können die Zentralbanker über billiges Geld das Wachstum anschieben. Wenn die Konjunktur heiß läuft, können sie einer drohenden Inflation mit höheren Zinssätzen entgegenwirken.
Angesichts der Finanzkrise hatte die Federal Reserve den US-Leitzins Ende 2008 auf das Rekordtief von null bis 0,25 Prozent gesenkt. Daneben kaufte sie Staats- und Hypothekenanleihen auf und pumpte so mehr als drei Billionen Dollar in den Wirtschaftskreislauf. Mit diesem sogenannten Quantitative Easing konnte die Fed die Geldmenge bei Nullzinsen noch weiter ausdehnen.
Ihre Anleihenkäufe hatte die US-Zentralbank bereits Ende Oktober 2014 auslaufen lassen, seitdem warten die Märkte gespannt auf den nächsten Schritt zur Normalisierung der Geldpolitik. In einer Kongressanhörung im Juli bekräftigte Yellen, dass der Leitzins wohl noch vor Jahresende angehoben werde.
Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds warnen die Fed indes vor einer voreiligen Zinswende. Beide Institutionen sorgen sich um die ohnehin geschwächten Schwellenländer, die in der Folge wohl mit massiven Kapitalabflüssen zu kämpfen hätten. Zudem würden steigende US-Zinsen den Dollar weiter stärken und so den Schuldendienst für Schwellenländer und dort ansässige Unternehmen verteuern. Weltbank-Chefvolkswirt Kaushik Basu erinnerte vor einigen Tagen in der »Financial Times« daran, dass ein starker Dollar auch der US-Exportwirtschaft schade.
Einige Ökonomen finden dagegen, dass die Fed die Märkte nicht länger im Unklaren lassen sollte. »Einen guten Zeitpunkt für Zinserhöhungen gibt es genauso wenig wie für einen Zahnarztbesuch«, schrieb der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, in der »Welt«. »Aber auf die lange Bank schieben dürfte in beiden Fällen zu Schmerzen führen.« AFP/nd
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