Die Zeit der Träume ist vorbei
Die Linke in Europa muss sich neu formieren - egal wie die Neuwahl in Griechenland ausgeht
So euphorisch und innig sich die Linken in Europa über den Wahlsieg von SYRIZA am 25. Januar zeigten, so gespalten geben sie sich nur knappe acht Monate danach - und kurz vor einer Neuwahl in Griechenland, die erneut die Partei von Alexis Tsipras zur stärksten Kraft machen könnte. Aus der Traum vom Ende der Austeritätspolitik, vom Aufweichen des Neoliberalismus, vom Rauswurf der Troika - die Stimmung ist gedrückt.
Doch wer an die Umsetzung dessen geglaubt hat, muss im Jubel nicht ganz bei Sinnen gewesen sein. Weder hatte SYRIZA mit Alexis Tsipras an der Spitze die tatsächlichen Möglichkeiten, »ein anderen Europa« herbeizuverhandeln noch war die Linke in diesem EU-Europa dazu bereit. Führende Köpfe von Parteien, linke Wissenschaftler und Aktivisten erklärten während der langwierigen Gespräche Griechenlands mit den Gläubigern unzählige Male ihre Solidarität mit der Regierung in Athen. Allen war zwar klar, dass Unterstützungserklärungen nicht reichen können. Doch den entscheidenden Schritt weiter zu gehen, wagte niemand. Vielleicht war er unter den gegebenen Umständen auch nicht möglich. Doch das Abwarten konnte weder SYRIZA noch der Umsetzung der Idee von einem besseren Europa dienlich sein.
Die Frage der Solidarität auf diesem Kontinent stellt sich dieser Tage also nicht nur hinsichtlich Geflüchteter, die nach Europa kommen. Die Linke, die hier schon immer für eine menschliche Politik plädierte und sich darin über Grenzen hinweg einig war, muss sich ihre Solidaritätsfrage stellen - und dafür sorgen, dass eine Antwort, so kompliziert sie auch sein mag, auf den Tisch kommt - weniger für sich selbst als für die Menschen, von denen sie schließlich glaubt, sie überzeugen zu können.
Dazu passen keine Spaltungen - weder zwischen SYRIZA und der Laiki Enotita (»Volkseinheit«), wie sie sich im August vollzogen hat, noch zwischen der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und französischer Linksfront, wie sie schon länger schwelt, noch zwischen Podemos und Izquierda Unida in Spanien oder innerhalb der Blockupy-Bewegung. Das meint zumindest ein Teil der Parteienvertreter, allen voran derer, die auf europäischer Ebene agieren. So bezeichnet Gabriele Zimmer den Austritt der Linken Plattform aus SYRIZA als »verheerend«. Mit der Arbeit an der Spitze der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) versucht sie, Brücken zu bauen, um den Umbau dieses Europas voranzutreiben. Die Auseinandersetzung bei SYRIZA ist auch in der Fraktion angekommen. Durch das altersbedingte Ausscheiden von Manolis Glezos hat die GUE/NGL mit Nikolaos Chountis nun auch einen »Volkseinheit«-Abgeordneten. In Brüssel und Straßburg wolle man offen zusammenarbeiten. Der Konflikt dürfe sich nicht auf die Arbeit im EU-Parlament auswirken. Hier stehen andere Fragen im Vordergrund: »Wir müssen eine Diskussion über die Demokratisierung des Euro führen«, fordert Zimmer. Dazu gehöre auch eine gestärkte Position der EU-Volksvertretung, also eine demokratische Kontrolle etwa der Maßnahmen, die das neue Griechenland-Programm vorsieht. Gleichzeitig hofft Zimmer auf eine weitere Regierung unter SYRIZA-Führung. »SYRIZA ist die einzige politische Kraft, die in der Lage ist, die Macht zu übernehmen und die Rückkehr der alten Eliten zu verhindern, die Griechenland dahin gebracht haben, wo es noch immer steht sowie Klientelismus, Korruption und falsche Strukturen abzubauen.«
Doch Ego-Pflege und ideologische Grabenkämpfe dominierten in den Wochen nach dem griechischen Referendum - in Griechenland und in Kommentaren im Ausland. Die Spaltung bei SYRIZA hat bislang nicht dazu geführt, den Diskurs über Euro und EU auf linker Seite voranzutreiben - die Weichen stellen die Brüsseler Institutionen und ihre Präsidenten. Unter Linken bleibt das Oxi zum Euro (Antikapitalistische Linke, KKE), »Austerix statt Grexit« (Katja Kipping) Plan A, B (u.a. Yanis Varoufakis, Oskar Lafontaine) oder C (Jan Schlemermeyer, Blockupy) und das Abstecken roter Linien (John Milios) der Debattenschwerpunkt.
Offen bleiben dabei Fragen aus dem wissenschaftlichen und bewegungsorientierten Umfeld: Wie kann die Linke von Griechenland lernen? Wie kann der Widerstand gegen den neoliberalen Sparkurs transnationalisiert werden? Wie lassen sich die Slogans »Für ein anderes Europa«, »ein Europa von unten«, »Europa anders machen« in die Tat umsetzen?
Mehr Inhalt, mehr Programm scheint der einzige Ausweg, doch auch die Linke konzentriert sich auf Personen. »Un’altra Europa con Tsipras« nennt sich ein Wahlbündnis in Italien, das bei der Europawahl und folgenden Regionalwahlen antrat. Dem Kopf der spanischen Podemos wurde kürzlich mit Thomas Piketty ein weiterer in Teilen der Linken geachteter Denker zur Seite gestellt. Der französische Forscher hat sich bereiterklärt, das Wirtschaftsprogramm der Empörten-Partei mitzuerarbeiten. Welche Rolle es bei der Parlamentswahl am Jahresende spielen wird, ist angesichts der sie derzeit überlagernden Debatte um die Unabhängigkeit Kataloniens, völlig offen.
Podemos galt zu Jahresbeginn wie SYRIZA als Hoffnungsträger für einen Politikwechsel in Europa. Doch die Partei schwächelt in den jüngsten Umfragen, droht, keine Rolle bei der Regierungsbildung zu spielen. Gleichzeitig hielt sich Podemos im Sommer auffallend zurück, wenn es um die Positionierung zu SYRIZA und der Tsipras’ Regierungspolitik ging.
Ganz anders Jeremy Corbyn - und er wurde trotz klarer Haltung gewählt. Der neue Labour-Vorsitzende erhielt dafür Glückwunsche nicht nur aus Athen. Dort gilt er nun aber als besonderer Verbündeter gegen den Sparkurs in EU-Europa. So gratulierte SYRIZA Corbyn prompt zu einem »historischen Abstimmungserfolg«.
Der lässt manchen schon wieder träumen. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith etwa äußerte gegenüber der »Repubblica«: »Es gibt den Plan B und die Wahl von Corbyn ist ein Puzzleteil darin genauso wie SYRIZA, Podemos und die Anti-Establishment-Bewegungen in Frankreich, Italien und Deutschland.«
Was weiterhin fehlt, ist jedoch eine strategische Zusammenarbeit jenseits der nationalen Ebene. Ob die Parteien diese anführen können, darf bezweifelt werden. Die Europäische Linke ist in ihrem elften Jahr wirkungsloser denn je. So könnte ausgerechnet das Netzwerk, das der polarisierende Yanis Varoufakis derzeit aufbaut, neuer Knotenpunkt werden. Entscheidend dafür dürfte sein, ob es der Linken gelingt, mehr über Europa denn über sich selbst zu reden.
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