»Wir dürfen das Feld jetzt nicht verlassen«
SYRIZA hoffte zuletzt wieder - mit Unterstützung aus Europa
Athen. Die Athener Sommerabende ziehen die Menschen auf die Straßen, ein wenig Wind verschafft Abkühlung. Skater, Jugendliche und Touristen treffen sich am Platz vor dem griechischen Parlament. An Ständen verkaufen ältere Menschen Getränke oder Brot mit Gyros. Vergangenen Freitag gegen sieben Uhr strömen aber Hunderte auf den Syntagmaplatz, viele mit eingewickelten Flaggen oder Schildern. Die linke Partei SYRIZA hält in einer Stunde ihre finale Veranstaltung zur Neuwahl am Sonntag.
Kaiti Mendoni, eine ernste Frau mit dunklen Locken, und ihr Mann Kostas Korros laufen über den Platz. Das Paar trifft auf einige seiner Kameraden, sie begrüßen sich herzlich. Man kennt sich, entweder von Parteiveranstaltungen oder aus dem Netzwerk »Piräus-Solidarität«. Seit knapp drei Jahren kochen sie nahe des Hafens von Piräus regelmäßig für ›zig Menschen, Bedürftige erhalten Kleider- und Essenspenden, Hunderte Schüler haben die in Griechenland schon essenzielle Nachhilfe bei Mendoni in Anspruch genommen. Dies ist für einen höheren Abschluss essenziell.
»Die örtlichen SYRIZA-Politiker geben 20 Prozent ihrer Bezüge an Solidaritätsinitiativen, jedoch wisse das kaum einer«, sagt Mendoni. Ein Mitstreiter, Sotiris Alexopoulos, erzählt begeistert von seinem neuen Projekt. Am Hafen werden Flüchtlinge ab dieser Woche mit Essen, Informationen und Medikamenten versorgt. Er warte lediglich auf die Zusage des Hafenbetreibers. Kaiti blickt auf die noch leere Bühne. »Nach dem «OXI»-Referendum waren wir begeistert«, sagt sie mit ernstem Gesicht. »Aber dann sind schwere Wochen gekommen, viele Tränen geflossen. Doch wir dürfen das Feld nicht verlassen, wenn der Kampf am schwersten ist.«
Wie viele zur letzten Rede vor den Wahlen kommen werden, ist nach den schweren Verhandlungen und den schier endlosen Zugeständnissen an die internationalen Gläubigerinstitutionen schwer abzusehen. Aus den Boxen tönt Rock, und es drängen immer mehr, auch viele Jüngere, auf den Syntagma, um die zehntausend Personen müssen es sein. Mendoni ist über den Andrang nicht überrascht: »Die Stimmung hat sich in der vergangenen Woche gewandelt. Wir müssen die Tatsachen akzeptieren. Alexis (Tsipras) inspiriert uns alle.«
Die Musik wird nun leiser gedreht. Fünf europäische Gäste wurden eingeladen, die eigene Akzente setzen. Als erster von ihnen spricht Gregor Gysi. Er bittet die europäische Linke, nicht nachzugeben. »Lasst mich mit Merkel und Schäuble nicht allein.« Tosender Beifall folgt. Für viele ist Schäuble mit seinen immer strengeren Vorgaben und den erzwungenen Privatisierungen ein rotes Tuch.
Die Europa-Abgeordnete Ska Keller (Grüne) betont die europäische Solidarität, die sich besonders in der Flüchtlingshilfe zeige. Diese werde fast vollständig von Freiwilligen gestemmt. Griechenland sei ein Vorbild, das trotz eigenen Nöten helfe, wo es könne. Kaiti schmunzelt. Sie mag Keller, zweimal habe diese bereits die Piräus-Solidarität besucht. Dann folgen der französische Kommunist Pierre Laurent und der Spanier Pablo Iglesias (Podemos), der kämpferisch schließt mit »Hasta la victoria siempre«.
Endlich betritt der Kopf von SYRIZA, Alexis Tsipras, die Bühne. Mit fester Stimme, den Blick zum Publikum, spricht er von den Kämpfen, die er gegen die Rechtskonservativen weiterführen will, gegen Korruption und Oligarchie. Die Zugeständnisse gegenüber den internationalen Gläubigern haben ihm nichts von seiner Schlagkraft genommen, vielmehr erhält er Anerkennung für sein Agieren in der Realpolitik. Die anfangs zurückhaltende Stimmung wandelt sich bald in tosenden Beifall, Sprechchöre und Jubel.
Am Samstag war es ruhig, die Geschäfte hatten ab Mittag geschlossen. In der Piräus-Solidarität begrüßt Kaiti einen Kameraden mit Kuss auf die Wange. »Schau, er ist jetzt in der Partei Laiki Enotita, die sich von SYRIZÀ abgespalten hat, aber wir kämpfen weiterhin zusammen.«
Bereits am Morgen haben die Aktivisten Essenspenden am Supermarkt gegenüber gesammelt, etwas gekocht und um elf Uhr verteilt. »Eduardo Galeano hatte recht, die beste Art etwas zu sagen, ist, es einfach zu tun«, meint Kaiti. »Viele Einsparungen können wir als Familie einigermaßen verkraften. Am dringendsten brauchen wir nun aber europäische Lösungen für die Flüchtlinge. Und für Griechenland ein Programm gegen Privatisierungen.« Doch nun müsse sie gehen und sich um ihre an Alzheimer leidende Mutter zu Hause kümmern.
Die radikal linke SYRIZA konnte sich gegen den entfesselten Neoliberalismus allein nicht behaupten. Nach Jahren der Misswirtschaft in Griechenlands und einer auf die Funktion als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft fokussierte EU strebt die europäische Linke nun eine gemeinsame, soziale und transparente Politik an. Tsipras hat SYRIZAs Wahlkampf darauf ausgerichtet und damit viel richtig gemacht.
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