VW kündigt Rückrufaktion in den nächsten Wochen an
Konzern hätte schon seit Jahren von Manipulation wissen müssen / Bundesregierung will neue Abgastests verzögern und Schlupflöcher für Autokonzerne erhalten / VW bekommt Ultimatum bis 7. Oktober
Update 15.25 Uhr: BW-Verkehrsminister wirft Bundesregierung Untätigkeit vor
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat der Bundesregierung in der VW-Affäre Untätigkeit in der Vergangenheit vorgeworfen. »Die Bundesregierung hätte Hinweisen auf Manipulationen bei der Motorsteuerung längst nachgehen und genauer hinschauen müssen. Stattdessen wurden solche Hinweise als böswillige Unterstellungen abgetan«, kritisierte Hermann im Gespräch mit der »Welt« (Online am Sonntag). Sein Bundesland habe sich frühzeitig gefragt, »warum im Ballungsraum Stuttgart die Belastung mit Feinstaub und Stickoxiden jenseits aller Grenzwerte liegt, obwohl die Autos doch angeblich immer besser werden.«
Spätestens im Sommer hätte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) handeln müssen. Damals hätten die Bundestagsgrünen die Regierung auf die Möglichkeit zur Motorsteuerung bei Abgastests hingewiesen. Stattdessen habe sich Dobrindt darauf verlassen, »dass in den ohnehin miserablen Tests nicht auch noch betrogen wird«. Baden-Württemberg wolle gemeinsam mit Prüfinstituten nun Abgas-Tests im Land verbessern.
Update 14.40 Uhr: VW-Sprecher kündigt Rückrufaktion an
Im Skandal um die Manipulation der Abgaswerte von Diesel-Fahrzeugen will der VW-Konzern nach Angaben eines Sprechers in den nächsten Wochen Abhilfe schaffen. »Es läuft auf eine Rückrufaktion hinaus, die für den Kunden kostenlos sein wird«, sagte der Konzernsprecher am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. In der kommenden Woche wolle VW erste Erkenntnisse präsentieren. Dazu würden auch Gespräche mit den Behörden geführt.
Die umstrittene Software müsse mit einem Update »in den Zustand versetzt werden, dass sie der Gesetzgebung entspricht«, sagte der Sprecher. »Die meisten Fahrzeuge werden mit einem solchen Update den Regularien entsprechen.« Ob noch weitere Änderungen vorgenommen werden müssten, kläre das Unternehmen gerade. »Sollten wir mehr machen müssen als ein Software-Update, werden wir das machen«.
Eine Frist des Kraftfahrtbundesamtes für den Volkswagen-Konzern, über die die »Bild am Sonntag« berichtete, konnte der Sprecher nicht bestätigen. Die »Dringlichkeit« sei dem Unternehmen aber »mehr als bewusst«, sagte er.
In einem von der »BamS« veröffentlichten Brief des Kraftfahrtbundesamtes heißt es, Volkswagen solle bis spätestens zum 7. Oktober einen »verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan« vorlegen. Wegen des Verdachts, dass VW Abschalteinrichtungen verbaut und unzulässig verwendet habe, werde derzeit der Status der erteilten Typengenehmigungen geprüft. Laut »BamS« könnte die Behörde die Typengenehmigungen entziehen, wenn VW nicht handelt. Dann dürften die betroffenen Autos nicht mehr verkauft und gefahren werden.
Update 13.40 Uhr: Italien prüft, Verkaufsstopp in Belgien und Schweiz
Die italienische Regierung will im Zuge des Abgas-Skandals bei Volkswagen landesweit 1000 Fahrzeuge des Konzerns stichprobenartig untersuchen lassen. »Jeder Test kostet rund 8000 Euro, aber das ist es uns wert. Wir werden die Ergebnisse in zwei bis drei Monaten haben«, sagte Verkehrsminister Graziano Delrio der Turiner Tageszeitung »La Stampa« (Sonntag). Man werde nicht warten, bis man die von VW und dem deutschen Kraftfahrtbundesamt erbetenen Daten erhalten habe.
Das Schweizer Bundesamtes für Straßen (Astra) hatte am Freitag sogar ein vorübergehendes Zulassungsverbot für Fahrzeuge mit dem betroffenen Motor angekündigt. Es soll diesen Montag in Kraft treten. Allerdings ist laut Importeursverband unklar, wie viele Autos mit der älteren Abgasnorm Euro 5 überhaupt noch im Handel sind. Bereits zugelassene Fahrzeuge sind nicht betroffen.
In Belgien hat der VW-Importeur D'Ieteren 3200 Diesel mit dem fraglichen Motor EA 189 vorsorglich vom Markt genommen. Der Verkauf sei gestoppt, bis es von Volkswagen weitere Informationen gebe, hieß es am Samstag. Dann könnten auch die Besitzer informiert werden, die ein Auto mit der betrügerischen Software fahren. Das belgische Wirtschaftsministerium schätzt, dass dies im Land etwa 500 000 Autos betrifft
Update 11.30 Uhr: Daimler ruft Transporter wegen »abgasrelevanten Steuergeräten« zurück
Inmitten des Abgasskandals bei Volkswagen hat Daimler einem Pressebericht zufolge 11.000 Transporter vom Typ Sprinter zur Optimierung der Software bei »abgasrelevanten Steuergeräten« zurückgerufen. Die betroffenen Steuergeräte würden »mit einer optimierten Software versehen, um mögliche Unannehmlichkeiten mit Behörden und Prüforganisationen auszuschließen«, schrieb der Stuttgarter Autohersteller laut einem Bericht der »Welt am Sonntag«in einem Brief an 11.000 Fahrzeughalter. Laut der Zeitung bestritt das Unternehmen zunächst die Echtheit der Briefe, bestätigte sie später aber.
Der Mercedes-Transporter-Chef Volker Mornhinweg versicherte, der Vorgang habe »nichts mit Manipulationen der Software zu tun«. Einige der Diagnosegeräte für eine Hauptuntersuchung der Prüfer hätten mit den Systemen in den Fahrzeugen nicht kommunizieren können. Deshalb seien unter anderem Abgaswerte nicht übertragen worden. Die Software für die Datenübertragung sei daher nun aktualisiert worden, sagte Mornhinweg der »Welt am Sonntag«. Die Formulierung in dem Brief sei »höchst irreführend«, die Sprinter-Besitzer würden nun über den präzisen Sachverhalt noch einmal informiert.
Daimler-Chef Dieter Zetsche versicherte, Daimler halte sich »grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben« und habe »keinerlei Manipulationen an unseren Fahrzeugen vorgenommen«. Eine Funktion, »die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz«, sagte Zetsche der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«.
Millionenfache Manipulation möglicherweise seit Jahren gedeckelt
In der Affäre um millionenfache Manipulationen der Abgaswerte von Autos hat der VW-Konzern womöglich schon seit Jahren gedeckelt: Wie die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« berichtet, habe ein Techniker des Unternehmens bereits 2011 vor illegalen Praktiken im Zusammenhang mit den Abgaswerten gewarnt. Das Blatt beruft sich auf Aufsichtsratskreise und eine interne Revision, es sei bisher ungeklärt, warum die interne Warnung folgenlos blieb und wer davon wusste. Hinzu kommt: Bereits 2007 soll der Autozulieferer Bosch den VW-Konzern in einem Schreiben vor der illegalen Verwendung seiner Technik zur Abgasnachbehandlung gewarnt haben, das berichtet die »Bild am Sonntag«.
Trotz des Skandals mit globalem Ausmaß will die Bundesregierung laut einem Bericht der »Welt am Sonntag« die Einführung eines neuen, realistischeren Abgastests durch die EU verzögern. Unter Berufung auf ein internes Positionspapier heißt es, die deutsche Regierung wolle erreichen, dass der neue Testmodus nicht wie geplant Ende 2017, sondern erst 2021 eingeführt wird. Zudem wolle die Bundesregierung viele der bestehenden Schlupflöcher erhalten, berichtet die Zeitung.
»Was die deutsche Regierung hier macht, ist unanständig«, zitiert die »WamS« Greg Archer, ein Mitglied der Arbeitsgruppe, die das neue Testverfahren (WLTP) erarbeiten soll. Auch der niederländische Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, Bas Eickhout, kritisierte dem Bericht zufolge die Bundesregierung: »Deutschland ist doch sonst immer vorne dabei, wenn es um Umweltschutz geht - außer die Autoindustrie ist betroffen.«
Unter Berufung auf Teilnehmerkreise der Verhandlungen berichtet die Zeitung, die Europäische Kommission und die Beamten der EU-Staaten seien den Vertretern der Autoindustrie hoffnungslos unterlegen. »Die Masse an technischen Informationen, die die Autoindustrie liefert, können die Beamten gar nicht einschätzen«, sagt ein Teilnehmer demnach. Der Einfluss der Industrie sei »enorm«.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft der Politik vor, von Manipulationen bei der Kontrolle von Abgaswerten gewusst zu haben. Die US-Umweltbehörde EPA hatte aufgedeckt, dass bei VW-Dieselfahrzeugen in den USA die Abgastests manipuliert worden waren. Eine entsprechende Software wurde weltweit in elf Millionen Fahrzeugen des Konzerns verbaut, davon 2,8 Millionen in Deutschland. Bei der Kernmarke VW sind es laut Angaben aus Wolfsburg insgesamt fünf Millionen. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Modelle aus mehreren Baujahren, etwa den Golf der sechsten Generation, den Passat der siebten Generation und die erste Generation des Tiguan. Verbaut ist ein Motor mit der Typbezeichnung EA 189 in 1,6- und 2-Liter-Varianten, der etwa auch bei Audi und Skoda zum Einsatz kam.
Das Kraftfahrt-Bundesamt fordert nun vom Konzern einen konkreten Zeitplan zur Beseitigung der Manipulationen. Das Bundesamt habe VW schriftlich aufgefordert, bis 7. Oktober einen verbindlichen »Maßnahmen- und Zeitplan« vorzulegen, ob und bis wann seine Fahrzeuge ohne Manipulationssoftware die Abgas-Verordnung einhalten werden, berichtete die »Bild am Sonntag«. Es müsse sichergestellt werden, dass die Fahrzeuge »mit dem jeweiligen genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden«, hieß es laut »BamS« in dem Schreiben weiter.
Sollte Volkswagen die Aufforderung des Bundesamtes nicht beachten, könnten die Typengenehmigungen der Wagen entzogen werden. Dann dürften die betroffenen Autos nicht mehr verkauft oder bewegt werden. Ein VW-Sprecher sagte der Zeitung, alle betroffenen Fahrzeuge seien »absolut sicher und fahrbereit«.
Ein Volkswagen-Sprecher sagte AFP am Samstag, der Konzern werde einen Maßnahmenplan präsentieren und »dann sagen, wann wir voraussichtlich eine Rückrufaktion starten«. Volkswagen plane eine kostenfreie Maßnahme im Rahmen einer Rückrufaktion. Dabei werde es zum Beispiel ein Software-Update geben. VW arbeite derzeit einen Katalog ab.
Die Fahrzeuge mit der manipulierten Abgas-Software seien identifiziert, nun müssten die Fahrzeugnummern ermittelt werden. Sobald anhand der Fahrgestellnummer festgestellt worden sei, wo sich die Autos befänden, könnten die Händler informiert werden, die wiederum Kontakt zu den Kunden aufnähmen.
Als Reaktion auf den Abgas-Skandal bei Volkswagen will die Bundesregierung einem Bericht zufolge nun wohl auch die Möglichkeit von Gruppenklagen einführen. Damit in Zukunft viele Geschädigte gleichzeitig ihre Schadenersatzansprüche geltend machen können, wolle das Bundesjustizministerium die kollektive Rechtsdurchsetzung gesetzlich neu regeln, berichtete das »Handelsblatt« am Samstag. Verbraucherverbände könnten künftig zum Beispiel das Recht erhalten, sogenannte Musterfeststellungsklagen zu betreiben. Wenn eine solche Feststellungsklage Erfolg habe, könnten anschließend alle Geschädigten ihre individuellen Ansprüche geltend machen, berichtete die Zeitung.
Schon Anfang 2016 werde das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vorlegen, sagte der Parlamentarische Staatssekretär für Verbraucherschutz im Justizministerium, Ulrich Kelber (SPD), dem »Handelsblatt«. Bisher gibt es in Deutschland kaum rechtliche Mittel, die Ansprüche von vielen Geschädigten gleichzeitig durchzusetzen.
Am Freitag hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband die Möglichkeit von Gruppenklagen in Deutschland gefordert. VW habe Verbraucher mit der Manipulation von Abgaswerten massiv getäuscht, erklärte der Verband. Sofern sich daraus für Kunden finanzielle Ersatzansprüche ergäben, fehlten hierzulande bislang jedoch die rechtlichen Möglichkeiten, um die Ansprüche vieler geschädigter Verbraucher durchzusetzen. Wer nicht auf seinem Schaden sitzen bleiben wolle, müsse daher selber klagen.
Zwar könnten Verbraucherzentralen stellvertretend für Betroffene klagen. Diese Verfahren seien aber unverhältnismäßig aufwändig. Zugleich könnten die Verbände immer nur wenige Verbraucher vertreten, so dass es in Fällen mit vielen Betroffenen an der Breitenwirkung fehle, erklärte der Bundesverband. Agenturen/nd
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