Späte Ehrenrettung für Pillendreher

Über berüchtigte »Verteidigung des Damiano« stolpern viele Schachspieler

  • Lesedauer: 4 Min.
Bei den Auseinandersetzungen der Schach-WM in Elista hätte bloß noch gefehlt, dass einer der Streithähne nach einem Fehlgriff schon während der Anfangsphase einer Partie in die berüchtigte »Verteidigung des Damiano« gestolpert wäre. Ein Flop, der das 64-Felder-Brett bereits millionenfach erschüttert hat. Wer ist dieser ominöse »Damiano« gewesen? Mário Silva Araújo (81) aus Lissabon, Bankmanager im Ruhestand, hat dazu eine Studie vorgelegt »Damiano, O português e a sua obra« (Damiano, der Portugiese und sein Werk). ND-Mitarbeiter Art Kohr fragt nach.
ND: Fast jeder Schachsportler wird abgestraft, weil er die riskante »Damiano-Verteidigung« ausprobiert. Was wissen wir über den Namensgeber dieses höchst dubiosen Spielsystems?
Araújo: Damiano war portugiesischer Apotheker. Ursprünglich hieß er Pedro Damião und lebte Ende des 15. Jahrhunderts in Odemira. 1512 veröffentlichte er in Rom ein Buch über jenes radikal veränderte Schach, das an der Schwelle zur Neuzeit die bis dahin auch in Europa vorherrschende arabische Version »Shatranj« verdrängt hatte. Die Araber kannten weder raumgreifende Läufer noch die kampfstarke Dame. Die westliche Variante war dynamischer und ist bis heute das Schach geblieben, das weltweit über 600 Millionen Anhänger zählt.

Warum hat Damiano sein Werk in Italien veröffentlicht?
Weil er Jude war. Im Dezember 1496 hatte König Manuel I. per Dekret die Vertreibung der Juden aus Portugal binnen zehn Monaten unter Androhung der Todesstrafe angeordnet. Damião, der sich fortan »Damiano« nannte, fand 1497 Zuflucht in Rom, wo er wieder als Apotheker arbeitete. Nebenbei gab er zahlungskräftigen Kunden Nachhilfe im Schach.

War Damiano der erste Autor, der das neue Schach analysiert und beschrieben hat?
Nein. 1497 - das Jahr, das Damiano zum Emigranten machte - verfasste der Spanier Luis Ramirez de Lucena eine Einführung samt ausgewählten Partien. Ungleich größeren Einfluss hat jedoch Damiano gehabt. Seine Publikation wurde acht Mal aufgelegt. 1560 folgte eine französische Ausgabe, 1562 eine englische. Und 1859 editierte der preußische Diplomat Tassilo von Heydebrand und der Lasa schließlich eine deutsche Fassung in Berlin: »Die Schachpartien und Endspiele des Portugiesen Damiano, nebst der Kunst, aus dem Gedächtnis zu spielen«.

Sie sehen einen Zusammenhang zwischen Damianos Bucherfolg und dem parallel dazu vollzogenen Kurswechsel der Kirche, den Gläubigen das Schach künftig nicht mehr zu verbieten.
Ein zeitliches Zusammentreffen, das kein Zufall gewesen sein kann. 1061 hatte Papst Alexander II. das Spiel auf den Index gesetzt. 1512 kam Damianos Schachkompendium auf den Markt. 1513 annullierte Papst Leo X. das Verdikt seines Vorgängers Alexander II., zumal auch Leo X. gerne mal eine Partie wagte und sich so in guter Gesellschaft wusste mit Prominenten aus Klerus und Adel, allen voran die charismatische Isabella dEste, Herzogin von Mantua. Deswegen ließ sich der Heilige Vater - so meine These - nach Lektüre des Damiano gerne davon überzeugen, dass dem Spiel ein wissenschaftlicher, künstlerischer und erzieherischer Wert zuzubilligen sei.

Wenn Damiano ein derart wichtiger Schachdenker war - wie passt dazu ein Eröffnungsmanöver, das in die Literatur unter »Verteidigung des Damiano« einging und das schnurstracks in den Untergang führt?
Das Etikett »Damiano-Verteidigung« ist ungerecht! Damiano hat die »Verteidigung des Damiano« weder erfunden noch empfohlen. Die ist während der Renaissance ohne sein Zutun äußerst beliebt gewesen. Sein Buch erwähnt lediglich die einschlägige Vorgehensweise und erörtert effektivere Alternativen. Daher dürfen wir annehmen, dass Damiano den fraglichen Defensivaufbau als schwach eingestuft und abgelehnt hat.

Vielleicht deutet sich nun eine Ehrenrettung des Damiano an. Ein Genie wie Bobby Fischer biss sich während einer Simultanshow an der Formation die Zähne aus.
Einzelfälle bieten keine ausreichende Grundlage, um das negative Urteil über die »Damiano-Verteidigung« zu revidieren.

Was kann ein Schachfreund heute von Damiano lernen?
Damiano hat strategische Prinzipien formuliert, die über die Jahrtausende Bestand haben. Zwei Beispiele: Führe nie einen Zug aus, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Oder: Wenn deine Steine eine überlegene Position eingenommen haben, darfst du das nicht durch den Raub eines unwichtigen Bauern aufs Spiel setzen.

Odemira hat dem verlorenen Sohn ein Denkmal errichtet.
Die Statue ist aber der Phantasie des Künstlers entsprungen. Porträts Damianos gibt es nicht.

Wie stark war Damiano im direkten Duell Mann gegen Mann?
Ausführlich hat Damiano das Blindspiel untersucht, das heißt, Schach ohne Ansicht von Brett und Figuren. Offenbar beherrschte er diese schwierige Kunst. Überdies ist die älteste überlieferte Partie eines Portugiesen von keinem Geringeren als Damiano gewonnen worden - souverän in 14 Zügen.

Mischen Sie noch im Schachsport mit?
Aber ja! 2005 habe ich an der 15. WM der Senioren im italienischen Lignano Sabbiadoro teilgenommen und 50 Prozent der möglichen Punkte geholt. Das reichte für einen Platz im Mittelfeld.

Anfragen zum Buch »Damiano, O português e a sua obra« bitte direkt an den Autor: Mário Silva Araújo, Rua D. Filipa de Vilhena, 9 - 4° E., 1000-134 Lisboa, Portugal; Telefax: 00351 - 21 84 86 876

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