Libyens letzte Chance - vorerst
Den Rivalen in dem zerrissenen Staat liegt ein Friedensabkommen vor
Ungeachtet aller unversöhnlichen Verlautbarungen der rivalisierenden Gruppen in Libyen liegt ein Friedensabkommen auf dem Tisch. Der Entwurf wird nun diskutiert. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Konfliktparteien aufgefordert, den von seinem Sondergesandten ausgearbeiteten Friedensvertrag umgehend zu unterzeichnen.
Während des gegenwärtigen UN-Plenums wollte der aus seiner Mission scheidende spanische Diplomat Bernardino León die Vereinbarung zur Gründung einer Einheitsregierung von den Vereinten Nationen absegnen lassen, um künftigen Einwänden aus Libyen vorzubeugen. Doch die Delegationen des - vom Westen favorisierten - Repräsentantenhauses in der ostlibyschen Stadt Tobruk und des Nationalkongresses in der Hauptstadt Tripolis zierten sich, nach einem Jahr Verhandlungsmarathon über Leóns Plan abzustimmen. Der Diplomat kündigte daraufhin an, gegen die Verweigerer Sanktionen zu verhängen: »Unser Job ist getan, nun liegt es an den Libyern, zwischen Chaos und Neuanfang zu wählen.«
In beiden Parlamenten geben die Kritiker von Leóns Vermittlungsarbeit den Ton an, vor allem weil sie von Milizen unterstützt werden, für die der Status quo lukrativer ist als die Gründung staatlicher Institutionen wie Armee und Polizei.
Vor allem in dem im vorigen Jahr gewählten Repräsentantenhaus wirft man León vor, mit den an den letzten Verhandlungstagen aufgenommenen Vertragsanhängen den »Islamisten in Tripolis« entgegen gekommen zu sein. Der »Tobruker« Premierminister Abdullah al-Thinni drohte der in Tripolis regierenden »Fadschr«-Milizenallianz am Sonntag mit einem Sturm auf die Zwei-Millionen-Stadt.
Nach wochenlanger Ruhe scheint die militärische Lage in Westlibyen tatsächlich zu eskalieren. Grund sind jedoch eher die wirtschaftliche Notlage und lokale Konflikte als ein möglicher Angriff auf Tripolis. Militärisch scheint keine der beiden Seiten die Oberhand gewinnen zu können.
Immer wieder erpressen bewaffnete Banden mit der Entführung von Geschäftsleuten oder deren Kindern Millionenbeträge. »Wir haben genug von der grassierenden Unsicherheit, die Mehrheit der Libyer will ein Ende der zahleichen Konflikte im Land«, sagt Mohamed Essul, ein Aktivist aus Tripolis. Gleichzeitig glauben immer mehr Vertreter der Zivilgesellschaft dass Leóns Plan dem neu zu gründenden »Staatsrat« in Tripolis umfangreiche Vetorechte einräumt und damit die Macht der Milizen zementiert. Bei dem New Yorker Treffen stritten die Hardliner beider Seiten heftig über die Definitionen von »Kampf gegen Terroristen«, der laut Friedensvertrag weiter erlaubt sein soll.
Während die islamisch Konservativen in Tripolis unter Terror vor allem die Offensive von General Khalifa Hafter gegen die Dschihadisten in Bengasi verstehen, wirft man in Ostlibyen der Fadschr-Allianz vor, extremistische Gruppen wie Ansar Scharia und den Islamischen Staat im Kampf gegen Hafter zu bewaffnen.
»Solange in Bengasi, an der sudanesischen Grenze bei Kufra und südlich von Tripolis gekämpft wird, wäre ein Friedensvertrag das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist«, erklärt dazu Menschenrechtler Abukassem Mashai. Das Machtvakuum nutzt vor allem der Islamische Staat, dessen Reihen sich derzeit mit illegal einreisenden ausländischen Extremisten füllen. Eine Offensive auf den »Ölhalbmond«, ein Wüstengebiet mit großen Vorkommen, steht wohl unmittelbar bevor.
Leóns Nachfolger, der deutsche Diplomat Martin Kobler, einst Büroleiter des Außenministers Joschka Fischer, wird es nicht leicht haben. Obwohl die Verhandlungen offiziell beendet sind, wird Kobler eine Antwort auf die Frage liefern müssen, die bisher unbeantwortet blieb: Wer wird eine Einheitsregierung gegen die Willkür der Milizen schützen?
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