Ein guter Mensch 
ist gegangen

In Erinnerung an Henning Mankell

  • Erik Gloßmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Henning Mankell - ein Bestsellerautor, politisch wach und engagiert, einer, der sich durch sein Werk als Aufklärer und durch sein Wirken als Humanist erwies und damit eine Autorität erwarb, die akzeptiert und als Orientierung verstanden wurde.

Henning Georg Mankell wurde am 3. Februar 1948 in Stockholm geboren und wuchs bei seinem Vater, dem Kreisgerichtsdirektor Ivar Henningsson Mankell, in Sveg in Härjedalen auf; die Eltern hatten sich getrennt, als Henning ein Jahr alt war. Schon als Gymnasiast beteiligte er sich an Protesten gegen den Vietnamkrieg und das Apartheidregime in Südafrika. Er studierte Schauspiel in Skara, arbeitete als Regieassistent und schrieb und inszenierte erste eigene Stücke. 1973 erschien sein Debüt »Bergsprängaren«, dem weitere sozialkritische Romane und Jugendbücher folgten. In den 1970er Jahren lebte Henning Mankell mit seiner ersten Frau in Norwegen, wo er der maoistischen Arbeidernes Kommunistparti nahestand. Er gehörte zu den Mitbegründern des Dalatheaters in Falun und leitete ab 1984 das Kronobergstheater in Växjö und verteidigte seinen Ruf, ein engagierter, politisch links orientierter Theatermann zu sein.

Anfang der 1990er Jahre veränderte sich das politische Klima in Schweden. Bis dahin hatte Henning Mankell das kapitalistische Gesellschaftsmodell einschließlich seiner schwedischen Wohlfahrtsstaatsvariante eher attackiert. Nun wankte die jahrzehntelange sozialdemokratische Herrschaft. Bürgerliche bis rechtspopulistische Parteien strebten zur Macht, heizten die Stimmung angesichts geöffneter Grenzen und internationalisierter Verbrechen an. Henning Mankell suchte eine neue Form, sich literarisch auszudrücken und (er)fand Kurt Wallander. Die Kriminalromane um den ebenso mürrischen wie integren Polizisten wurden in Skandinavien sofort mit Preisen ausgezeichnet und von den Lesern verschlungen; in Deutschland dauerte es etwas länger.

Die ersten beiden Wallander-Romane waren hier nahezu unbeachtet geblieben, dennoch erwarb der deutsche Verlag Hanser die Rechte am dritten Wallander-Epos und beauftragte mich mit der Übersetzung. Im Frühjahr 1995 erschien »Die weiße Löwin«; in der (heute nicht mehr existierenden) Krimibuchhandlung »Tatort« wurde die Buchpremiere veranstaltet, zu der Henning Mankell eingeladen war. So lernte ich den in meinen Augen besten Krimischreiber der Welt persönlich kennen. Ich durfte nicht nur dolmetschen, sondern ihn auch durch die Stadt begleiten. Zu meiner Verblüffung interessierte er sich überhaupt nicht für die Sehenswürdigkeiten Berlins, die verschwundene Mauer und den halbsanierten Osten der Stadt - vielleicht kannte er das alles schon. Nein, er bat mich vielmehr, ihn zu den besten Antiquariaten zu führen. So fuhren wir kreuz und quer durch die Stadt und suchten nach Bildbänden, Reisebeschreibungen und alten Karten über Afrika. Die Lesung war ein voller Erfolg und ich bewunderte vor allem die Sachlichkeit und Ruhe, mit der Henning Mankell auch die unsinnigste Frage aus dem Publikum beantwortete. Ein Jahr später erschien die Taschenbuchausgabe von »Die weiße Löwin« parallel zu der Hardcoverausgabe des neuen Wallander-Krimis »Der Mann, der lächelte«, und nun war Henning Mankell auch in Deutschland ein Bestsellerautor!

Mit einer Auflage von über 40 Millionen Exemplaren gehört Henning Mankell zu den international erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Wallander-Bücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt und zum Teil schon mehrmals verfilmt. Die Zahl seiner Bücher und die Auflagen wären noch höher, hätte Henning Mankell sich nur auf Kriminalromane beschränkt. Doch seine Leidenschaft für Afrika, sein Engagement für die so genannte Dritte Welt, ließen ihn auch andere Projekte verfolgen. Seit den 1990er Jahren engagiert er sich für das »Teatro Avenido« in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. Und sicher ist es nicht zuletzt der Popularität seines Kurt Wallander zu verdanken, dass auch Mankells Romane über Schicksale von Kindern und Jugendlichen in Afrika, erwähnt seien »Der Chronist der Winde« (2000) und »Die rote Antilope« (2001) viele Leser gefunden haben.

Im Januar 2014 schrieb Henning Mankell in einem Artikel in Göteborgs-Posten, er habe Krebs. In den letzten Monaten arbeitete er an seinem neuen Buch »Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein«, einer Sammlung von Essays, Anekdoten und autobiografischen Erinnerungen vor den Hintergrund der Krankheit. Darin heißt es: »Mit einer Krebserkrankung zu leben heißt, ohne jede Garantie zu leben. So wie die nächtlichen Wege der Katzen unbekannt sind, wandern auch die Krebszellen auf schlecht beleuchteten Pfaden. Wir glauben, so viel zu wissen. Aber wir werden ständig gezwungen, unsere Vorstellungen von der Welt neu zu überdenken.« Den Kampf gegen die schleichende Krankheit hat Henning Mankell, der Humanist und Aufklärer, der große Schriftsteller und politische Aktivist, der uns eine Vorstellung von der Welt gab und an ihre Veränderung, Verbesserung glaubte, nun verloren. Er starb am 5. Oktober 2015. Ein guter Mensch ist gegangen.

Der Autor ist Literaturwissenschaftler und hat u.a. Bücher von Henning Mankell ins Deutsche übersetzt.

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