Wortreich sprachlos
Claudia Bauer inszeniert in Leipzig Bernhard Studlars Stück »Die Ermüdeten« als Endzeit-Party
Ein Mann trifft auf seiner Dachterrasse eine Frau, die sich in die Tiefe stürzen will. Warum auch immer. Er rät ab. Weil er Gäste erwartet. Weil bei nur acht Stockwerken der Erfolg des Unternehmens nicht garantiert ist. Und überhaupt. Wenn schon, dann solle sie lieber eine Pistole nehmen, das wäre sicherer. Und er habe eine dabei.
Was wie eine einfühlsame Ablenkung beginnt, wird zum Albtraum für den Lebensretter, denn plötzlich hat sie die Waffe in der Hand und bedroht ihn. Ob sie den Rollentausch tatsächlich konsequent durchzieht, erfährt man nicht. Aber einer von beiden fällt am Ende vom Dach. Wenn der Morgen dämmert, sieht ein Paar in der darunterliegenden Wohnung einen Schatten am Schlafzimmerfenster vorbeifliegen.
In Claudia Bauers Leipziger Uraufführungs-Inszenierung von Bernard Studlars neuem Stück »Die Ermüdeten oder das Etwas, das wir sind« hat der kammerspielartige Wortwitz in der letzten der 37 kurzen Szenen da längst völlig die Menschenwelt verlassen. Die schimmert eh nur in den Videos herein, die auf die mit gerafften Stoffen ausstaffierten Wände projiziert werden (Ausstattung: Andreas Auerbach). In dieser letzten Szene redet ein Wurmgebilde mit sich selbst. Das eine Ende mit dem anderen. Womöglich hat sich gar die Welt da schon verlassen. Der immer bedrohlichere, anwachsende schwarze Fleck über dem Himmel von Leipzig, der als Projektion, so wie der Rahmendialog übers Springen oder Nichtspringen, eingeblendet wird, könnte schon das große Ende gewesen sein. Wie in Lars von Triers »Melancholia« der Mond, der mit der Erde zusammenkracht. Claudia Bauer setzt die letzte Szene von Studlars flott parlierender Zeitdiagnose und den Weg dahin jedoch nicht als großen Knall in Szene. Es ist mehr ein Balancieren überm Abgrund der Leere, der sich unter der Oberfläche der Geschwätzigkeit verbirgt.
Das fängt schon mit den sechs Protagonisten an. Die lassen uns nicht so richtig bis zu den Menschen vor. Die Suche nach dem, was sich hinter den Sprachmasken verbirgt, die der Wiener Autor mit durchaus Jelinekscher Vehemenz im flotten Dialog-Ping-Pong betreibt, wird von der Regisseurin zum Prinzip der Inszenierung gemacht. Wenn sie spielen, dann hinter den Karnevalsmasken grinsender Frauen und Männer in »Mad Men«-Ästhetik. Wobei auch die Männer in fließenden Unterkleidern stecken.
Gesprochen wird zur aufgedreht choreografierten Motorik abwechselnd und ohne Masken von der Seite aus ins Mikro - so als würde man gerade synchronisieren. Die nicht erkennbaren, gleichmachenden Masken entstellen so ihre Träger bis zur Erkennbarkeit. Von diesem Paradox lebt der Witz der Inszenierung. Und macht einem Text Beine, der es in sich hat.
Treffsicher surfen Wenzel Banneyer, Sophie Hottinger, Tilo Krügel, Dirk Lange, Annett Sawallisch und Katharina Schmidt an der Oberfläche unserer politisch korrekten, geschwätzigen Sprachlosigkeit entlang. Umkreisen im Zwischenreich von Selbstfindung und Spießertum mit linksliberalem Blick die Konventionen des Denkens in unserer Wohlstandsgesellschaft. Mit Witz und Hintersinn. Und mit einem Handy, das vom Stein zum Riesenfindling und damit immer mehr zur Last wird. Ganz so wie im richtigen Leben.
Nächste Vorstellung: 17. Oktober
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