Ich hasse Hund
Kongress für Kinder wirft einen speziellen Blick auf die Stadt und fragt: Wer ist Berlin?
Bevor es überhaupt losgeht, will Görkan schon den Fernsehturm bauen. Halt, Stopp, von vorne. Workshopleiter Nicolaus Schrot teilt Pappen aus, auf denen die Kinder eigentlich erst mal ihre Ideen aufschreiben und dann skizzieren sollen, was sie in Berlin alles kennen und was ihnen fehlt. Görkan macht weiter: »Oder einen Trinkwasserbrunnen, oder irgendwas mit Monstern«. Währenddessen hat Madeleine sich ihre Pappe um den Körper gebunden und spielt Rennauto. So sieht es aus im Workshop »Vorsicht Baustelle! Wir bauen Berlin«. Der Workshop ist Teil des vierten Berliner Kinderkongresses, den das Berliner Kindertheater Grips organisiert. In insgesamt neun Arbeitsgruppen beschäftigen sich GrundschülerInnen seit vergangenem Montag für vier Tage mit dem Thema »Wer ist Berlin?«.
Bis Donnerstag werden die Kinder in verschiedenen Laboren eine große Berlin-Kulisse entwerfen, Geräusche der Großstadt einfangen oder der Frage nachgehen, wie sie in einer Gemeinschaft zusammenleben wollen oder welche Wohnformen es in Berlin gibt. Dafür besuchen die Kinder am Dienstag die Flüchtlingsunterkunft in der Spandauer Motardstraße oder die Wagenburg Lohmühle in Alt-Treptow.
»Vieles, was es in der globalisierten Welt gibt, beschäftigt auch Kinder. Wir wollten den Raum öffnen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Erfahrungen zu sammeln, sich auszutauschen und auszudrücken«, sagt Philipp Harpain, künstlerischer Leiter des Kinderkongresses. Die Idee zu dem diesjährigen Thema entstand, weil sich die Kinder auf dem letzten Kongress mit der Bedeutung von kindlicher Selbstbestimmung auseinandergesetzt hatten. »Der erste Kongress beschäftigte sich mit dem Thema Arm und Reich, weil wir gehört hatten, dass es an einer Schule einen ›Nichtesser-Tisch‹ gab, an dem Kinder saßen, die sich das Mittagessen nicht leisten konnten und andere Kinder ihnen von ihrem Essen abgaben«, erzählt Harpain.
In Vorbereitung auf den Kongress waren die Workshopleiter an Schulen in vielen Bezirken und haben mit den Kindern eine Lebensraumanalyse ihres Kiezes durchgeführt. Sie sollten aufschreiben, was ihnen in Berlin am besten und was ihnen überhaupt nicht gefällt. Von aufregenden Kindergeburtstagen und tollen Ausblicken vom Fernsehturm bis zum Rausschmiss aus einem Einkaufszentrum wegen einer verschütteten Limo oder zum Hundeangriff (»Ich hasse Hund«) ist alles dabei, was die Hauptstadt an emotionalen Auf und Abs zu bieten hat. Iman schreibt: »Mein blödestes Erlebnis war, dass ich als ›Nigger‹ beleidigt wurde«. Auch das ist Berlin.
Die 81 Kinder, die teilnehmen, kommen aus insgesamt zehn Grundschulen. Die meisten sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Am Donnerstag wird es eine große »Stadtführung« geben, auf der die Kinder die Ergebnisse aus ihren Workshops auf der Bühne des Podewil in Berlin-Mitte vorstellen.
Julien aus Spandau hat inzwischen ein Hochhaus mit Rutsche auf seine Pappe gemalt, darüber eine Schwebebahn, die die Stadtteile miteinander verbindet. »Es wäre doch cool, wenn man zur Arbeit mit der Rutsche fahren könnte«, sagt der 11-Jährige. Auch eine Geisterbahn will er im Workshop bauen. »Eine, wo so eine Hand aus einer Tür rauskommt und alle erschreckt.« Ob er schon mal was vom Spreepark gehört hat? Schulterzucken. Ist ja auch schon lange her als Berlin mal einen Freizeitpark hatte. Jetzt freut er sich eben immer auf die Weihnachtsmärkte, von denen es definitiv zu wenige in der Stadt gebe.
»Die Stadt müsste gerade für junge Menschen deutlich partizipativer werden«, sagt Kursleiter Schrot. »Vieles, was ihnen als interaktiv verkauft wird, ist dann doch nur eine Alibiveranstaltung.«
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