Russlands Wirtschaft unter Druck

Türkei droht mit Sanktionen wegen Luftraumverletzung

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Schlimmstenfalls bis zu 20 Milliarden Dollar könnten russischen Staatskonzernen durch den Konflikt mit der Türkei entgehen, rechnete die »Nesawissimaja Gaseta« ihren Lesern vor. Russische Kampfjets hatten bei ihrer Syrien-Mission türkischen Luftraum verletzt. Das erste Mal begründete Moskau mit schlechter Sicht, das Außenministerium in Ankara bestellte lediglich den russischen Botschafter ein. Beim zweiten Mal meldete sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan selbst zu Wort, drohte mit Kündigung der Freundschaft und dem Einfrieren der Wirtschaftskooperation, von der Russland sich angesichts westlicher Sanktionen viel verspricht. Die Türkei, drohte Erdogan, würde die Projekte ungern auf Eis legen, habe aber Alternativen - bei Gaslieferungen und Atomenergie.

Von einem kurzen Flirt mit Staatsgründer Atatürk einmal abgesehen, den Lenin als »Teil der revolutionären Weltbewegung« hofierte, war das bilaterale Verhältnis nie besonders freundschaftlich. Beide Länder beanspruchen den Status einer Führungsmacht im Südkaukasus und in Zentralasien, auch auf dem Balkan überschneiden sich die Interessen. Doch bei seinem Türkei-Besuch 2014 erntete Kremlchef Wladimir Putin zum Ärger des Westens von Erdogan Verständnis für Russlands Vorgehen in der Ukraine. Zudem vereinbarten beide den Bau einer Gasleitung, die die Türkei und Südeuropa unter Umgehung der Ukraine mit russischem Gas versorgen soll. Putin und Erdogan sagten mehr Tempo beim Bau von Akkuyu zu, dem ersten türkischen Kernkraftwerk, das Russland in Südostanatolien errichtet. Ein Anfang 2014 unterzeichneter Vertrag sieht den Bau von vier Reaktorblöcken vor, die 2020 ans Netz gehen und rund 20 Milliarden Dollar kosten sollen. Der russische Staatskonzern Atomstroiexport investierte drei Milliarden.

Mit weiteren drei Milliarden Dollar ging Gasprom beim Bau der Schwarzmeerpipeline in Vorleistung. Obwohl ein juristisch verbindlicher Vertrag wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen nicht zustande kam. Das Projekt wurde schon vor den Zwischenfällen mit den Kampfjets deutlich verkleinert. Statt der ursprünglich geplanten vier werden nur zwei Stränge gebaut, über die statt 63 Milliarden Kubikmeter jährlich nur die Hälfte fließen soll. Wegen der Syrien-Krise ist fraglich, ob die Leitung je gebaut wird. Außerdem drohte Ankara generell mit Reduzierung seiner Gasimporte aus Russland, über zwei bestehenden Pipelines fließen jährlich 27 Milliarden Kubikmeter. Und die spülen Gasprom, wegen der niedrigen Ölpreise, schon jetzt deutlich weniger in die Kassen als geplant.

Moskau, so Putins Sprecher, hoffe auf Weiterentwicklung der Kooperation, die für Russland einen hohen Stellenwert habe. Eine Entschuldigung für die Luftraumverletzung lieferte er nicht. Im Gegenteil: Russlands Vorgehen in Syrien habe auch Sicherheit und Stabilität an der Grenze zur Türkei »zum Ziel«, sagte er.

Russische Analysten glauben indes, Erdogan bluffe nur. Iran und Aserbaidschan könnten den türkischen Gasbedarf nicht decken. Die von ihnen befüllte Transkaukasusleitung habe zu wenig Durchlassfähigkeit. Beide seien auch erheblich teurer als russisches Gas.

Auch die Kernkraftwerksbauer blieben gelassen: Man komme seinen Verpflichtungen nach, es gäbe keine Veränderungen beim Zeitplan. Auch glauben Experten, bei Kündigung des Vertrags werde ein von Moskau angerufenes internationales Schiedsgericht Ankara Strafen in Milliardenhöhe aufbrummen und der Ruf der Türkei ramponiert werden.

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