Keine Zeit zum Pokern

Der Russe Alexander Grischuk entthront Magnus Carlsen und krönt sich in Berlin selbst zum Blitzschachweltmeister

  • Dagobert Kohlmeyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Alexander Grischuk gewann schon zweimal die Blitzschach-WM, war in Berlin aber nicht der große Favorit auf den Titel - bis Superstar Magnus Carlsen gegen einen anderen Russen seinen Rhythmus verlor.

Es gibt noch Schachturniere, bei denen der Sieger am Ende nicht Magnus Carlsen heißt. Blitzweltmeister in Berlin wurde nicht der favorisierte Norweger, sondern Alexander Grischuk aus Russland. Mit 15,5 Punkten aus 21 Partien gewann der 31-jährige Moskauer vor Maxime Vachier-Lagrave (Frankreich) und Wladimir Kramnik (Russland), die beide 15,0 Punkte holten. Nach einem starken Beginn kassierte Carlsen im Turnierverlauf vier Niederlagen, seine 14 Punkte reichten letztlich »nur« zum sechsten Platz. Bester Deutscher wurde Georg Meier aus Trier als 68.

Alexander Grischuk ist ein Multitalent. Schon häufig musste er sich entscheiden, welcher Begabung er den Vorzug gibt. Er stammt aus einer Moskauer Gelehrtenfamilie und hätte ein erfolgreicher Physiker werden können. Doch Grischuk studierte Sportwissenschaft und wurde Schachprofi. Dann entdeckte er seine Leidenschaft fürs Pokerspiel. Diese Neigung lebte er etliche Jahre bei Turnieren oder im Internet aus, aber seine Liebe zum Schach war dann doch am größten.

Bei der Blitz-WM in Berlin, bei der jeder Spieler pro Partie nur drei Minuten an Bedenkzeit zur Verfügung standen, gehörte Grischuk zu den Favoriten. Schließlich hatte er den Wettbewerb schon 2006 und 2012 gewonnen. Doch auf der Setzliste vor ihm rangierten Titelverteidiger Carlsen, Vachier-Lagrave sowie der Armenier Levon Aronjan. Bis zur Turnierhalbzeit war Carlsen auch im Plan, dann schlug ihn der Weltcupsieger Sergej Karjakin aus Russland. »Von diesem Moment an war Magnus aus dem Rhythmus und fand nicht mehr zu seinem gewohnten Spiel«, sagte Carlsens mitgereister Vater Henrik gegenüber »nd«.

Die Kontrahenten nutzten die Gunst der Stunde und schoben sich am Weltmeister vorbei. Vor der letzten Runde war bereits klar, dass der Norweger nicht mehr gewinnen konnte. An der Spitze des Feldes lagen Grischuk und Kramnik. Grischuk gewann gegen Boris Gelfand (Israel), Kramnik spielte gegen Wassili Iwantschuk (Ukraine) nur remis; die Entscheidung war gefallen und Grischuk zum dritten Mal Blitzweltmeister.

Hinterher zeigte sich der Moskauer vom eigenen Sieg überrascht, weil sein Start nicht optimal war: »Aber am zweiten Tag hatte ich einen sehr guten Lauf und konnte meine Chancen nutzen. Zugleich möchte ich auch Magnus Carlsen ein Kompliment machen. Er war hier der Gejagte und hat die Schnellschach-WM klar dominiert. Doch man kann vom Weltmeister nicht erwarten, dass er bei dieser starken Konkurrenz jedes Turnier gewinnt.«

Der Präsident des Weltschachbundes FIDE, Kirsan Iljumschinow, lobte Berlin als hervorragenden Austragungsort. »Ich kann mir die deutsche Hauptstadt als Gastgeber für weitere Großereignisse wie die Schacholympiade vorstellen«, erklärte er. Der Präsident des Deutschen Schachbundes Herbert Bastian schien gleich Pläne schmieden zu wollen: »Das riesige Interesse der Zuschauer führt wahrscheinlich dazu, dass wir noch mehr Turniere dieser Art in Berlin durchführen.« In Sachen Schacholympiade zeigte sich Bastian jedoch weniger optimistisch. Die nächsten beiden Turniere der Nationen, 2016 in Baku und 2018 in Batumi, sind schon vergeben. Das Turnier in Georgien soll einen 20 Millionen Dollar großen Etat haben. »Da fragt man sich, wie so etwas in Deutschland gestemmt werden soll«, sagte Bastian.

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