Dauerrot am Landgericht

Verkehrsampeln gibt es vielerorts - eines der seltsamsten Exemplare hängt in Dresden

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutschlands sinnloseste Ampel schaltete seit 1987 noch nicht einmal auf Grün, kostet die Stadt jährlich aber Tausende Euro Unterhalt. Rein rechtlich gilt ihr Betrieb jedoch als unumgänglich.

Rund 1,5 Millionen Ampeln blinken täglich in Deutschland. Gäbe es sie nicht, bräche in einem Land mit 45 Millionen Pkw, gut vier Millionen Motorrädern, 2,7 Millionen Lastkraftwagen und immerhin auch 77 500 Omnibussen das wochentägliche Verkehrschaos aus.

Und das auch nicht erst seit heute. Deutschlands erste Ampel leuchtete bereits im Jahr 1922 in Hamburg. Die Farben Grün und Rot übernahm man dabei aus London, wo bereits 54 Jahre zuvor erstmals versucht worden war, mittels einer gasbetriebenen Ampel das zunehmende Verkehrsaufkommen - durch Gespanne und die neuen Pferdestraßenbahnen - in den Griff zu bekommen. Mithin ist die Ampel - ihr Name leitet sich vom lateinischen Wort für Ölflasche ab - älter als das Auto selbst.

Doch manche Lichtsignalanlage, wie die Kästen mit den bunten Kulleraugen offiziell heißen, ist auch schlicht sinnlos. Da zwingt etwa ein gelegentliches Rot mitten auf einem Fußweg im niedersächsischen Hannover die Passanten zum Stehenbleiben. Dabei quert der Gehsteig hier nirgends eine Straße. Lediglich aus einem eingezäunten Privatparkplatz kommt zuweilen ein Auto heraus - und bekommt dann prompt Vorfahrt.

Oder an der Bundesstraße 39 bei Heilbronn (Baden-Württemberg): Hier können zwar Fußgänger den Knopf einer Bedarfsampel drücken, wenn sie sicher auf die andere Straßenseite wollen - doch die Ampel, die ihnen das anzeigen müsste, fehlt schlicht. Nur die Autos bekommen dann irgendwann Rot, was der Passant aber nur daran erkennt, dass sie plötzlich, wie von Geisterhand gesteuert, stoppen.

Dagegen ist eine Ampel, die in Meerbusch in Nordrhein-Westfalen den Vorrang der Vorortbahn regelt, so unflexibel geschaltet, dass Autos hier morgens bis zu 20 Minuten am Stück stehen müssen, ehe sie einmal Grün bekommen.

Die wohl schrägste Ampel leistet sich indes Dresden - und das schon seit DDR-Zeiten. Denn die Signalanlage neben dem Landgericht in der Ziegelstraße zeigt seit 1987 stur Rot. Ohnehin darf man hier nur nach rechts auf den Güntzplatz einbiegen - das dann aber bei Rot. Denn ein Grüner Pfeil erlaubt das, sofern man zuvor kräftig abbremst. So täte es denn auch ein Stoppschild.

Warum dann aber diese Ampel, deren Unterhalt die Stadt jährlich immerhin 4700 Euro kostet, noch nicht gerechnet die 750 Euro Stromkosten für das leuchtende Dauerrot? Dass dahinter weder sächsischer Starrsinn noch ein technischer Defekt steckt, versucht man im Straßen- und Tiefbauamt der Landeshauptstadt zu erklären. Solange die kleine Ziegelstraße als Zufahrt an den durch Ampeln geregelten Güntzplatz angebunden sei, könne man »auf diesen Signalgeber nicht verzichten«, begründet Amtsleiter Reinhard Koettnitz die scheinbare Schildbürgerei. Und dank des besagten Grünpfeils müsse man nicht zusätzlich mit einer teuren Farbwechselschaltung nachrüsten. Recht bekommt der Amtsleiter hierbei von Gunter Thiele von der TU Dresden. Auch wenn der gesunde Menschenverstand etwas anderes sage, so der Diplom-Ingenieur für Verkehrsleitsysteme, seien die »Vorschriften in Deutschland nun einmal so, dass sie dort stehen muss«.

Im Rathaus stört deshalb auch nicht das Unbehagen beim ADAC, der allein in Dresden nicht nur diese Anlage, sondern rund hundert der insgesamt 465 Ampeln für »vollkommen überflüssig« hält. Würde man auf sie verzichten, so ADAC-Verkehrsexperte Norbert Brückner, käme man am Ende »deutlich flüssiger« durch die Rush Hour. So aber wurde die DDR nicht nur von ihrem inzwischen kultigen Ampelmännchen mit Hut überlebt, sondern auch von der schrägsten Ampel der Republik. Deutschland einig Verkehrsland.

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