Sonnige Schau und miese Strände

Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef zog eine 25-Jahre-Bilanz, die manche Lücke hatte

  • Hagen Jung, Schwerin
  • Lesedauer: 4 Min.
Positives überwog deutlich in einer »Bilanz«, die Ministerpräsident Sellering (SPD) unter dem Motto »25 Jahre Mecklenburg-Vorpommern« zog. Ernste Probleme seien zu kurz gekommen, beklagt die Opposition.

Wie der Werbetext einer Hochglanzbroschüre habe sich die Erklärung des Ministerpräsidenten angehört: So kommentierte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Helmut Holter, den Vortrag des Regierungschefs Mecklenburg-Vorpommerns zum Landesjubiläum, denn: Zwar hatte Erwin Sellering (SPD) auch Schatten über seine sonst sonnige Schau auf Mecklenburg-Vorpommern huschen lassen, doch die Tendenz »alles ist oder wird gut« dominierte.

Die meisten Dörfer und Städte »erstrahlen in neuem Glanz« frohlockte der Ministerpräsident beispielsweise. Oder: Mecklenburg-Vorpommern sei »Tourismusland Nummer eins«. Die Arbeitslosenzahlen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert, und die Zeiten, in denen junge Menschen zur Ausbildung in andere Bundesländer gingen, seien vorbei. Gewiss, es gebe eine Werftenkrise, aber: Die betroffenen Betriebe hätten durchaus eine Chance, wenn es ihnen gelingt, sich neue Märkte zu erschließen. Sellering räumte auch Rückstände ein, etwa: Die Einkommen seien niedriger als im Westen - man müsse weiter für fairen Finanzausgleich kämpfen.

Unter den großen Aufgaben, denen sich das Land gegenüber sieht, erwähnte der Regierungschef die Integration der Flüchtlinge. Vorschläge, für sie den Mindestlohn auszusetzen, seien abzulehnen, denn so eine Regelung schaffe sozialen Sprengstoff.

Auf den Beginn vor einem Vierteljahrhundert rückblickend, sagte der Ministerpräsident: Ziel sei damals ein selbstbewusstes Bundesland gewesen, das stolz auf seine Leistungen sein kann. Auf diesem Weg sei Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich.

Solche und andere Schönwetterworte quittierte LINKEN-Fraktionschef Holter: Sellering beherrsche recht gut die Sprache der Reisekataloge, die auch die miesesten Strände attraktiv darstellen und Missstände verschweigen. Das, so Holter sinngemäß, habe auch Sellering getan. Nicht zu hören gewesen sei etwa, dass von 1990 bis 2014 ein Bevölkerungsrückgang von über 340 000 Einwohnern das Land getroffen habe. Oder dass der Nordosten bundesweit die höchste Armut sowie - nach Sachsen-Anhalt - die höchste Zahl von Hartz IV-Empfängern aufweise. Und: Hier gebe es die meisten Schulabbrecher.

Die Verkehrsverbindungen seien in den vergangenen 25 Jahren nicht besser, sondern schlechter geworden, bilanzierte Holter weiter. Mecklenburg-Vorpommern drohe, in dieser Hinsicht »aufs Abstellgleis gestellt zu werden«.

Herbe Kritik übte der LINKEN-Politiker an der Umfrage, das die SPD/CDU-Landesregierung unlängst durch ein Meinungsforschungsinstitut erstellen ließ und in der sich die meisten der angesprochenen Bürgerinnen und Bürger sehr zufrieden über das Land geäußert hatten. Sellering habe ein »Wohlfühlgutachten« in Auftrag gegeben, in dem nur solche Fragen gestellt worden seien, die kaum etwas anderes als positive Antworten erwarten ließen. Warum, so Holter, sei denn zum Beispiel nicht gefragt worden, ob die Bürger mit den Verkehrsverbindungen von und zu ihren Wortorten zufrieden sind? Oder was sie davon halten, dass mehrere Amtsgerichte geschlossen werden.

Eine »Zukunftsinitiative plus« müsse entwickelt werden, forderte der Fraktionsvorsitzende. Dazu gehöre unter anderem eine Internet-Breitbandanbindung, die Mecklenburg-Vorpommern für die Ansiedlung von Unternehmen attraktiv macht: Und dazu gehöre nach wie vor das Ziel, Kindertagesstätten zum Nulltarif anzubieten.

Erwiderungen aus der SPD/CDU-Koalition folgten sogleich: Die LINKE male ein »Jammertal«. Einig waren sich alle demokratischen Fraktionen bei den Stellungnahmen zur Regierungserklärung in der entschiedenen Abwehr rechtsextremistischer Aktivitäten, insbesondere im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen Kundgebungen und Handlungen. Erwin Sellering hatte in seiner Rede von der »unappetitlichen NPD« gesprochen, hatte gemahnt: Man dürfe nicht vergessen, dass die geistigen Ahnen derer, die heute Deutschtümelei üben und Hass predigen, die halbe Welt inSchutt und Asche gelegt haben.

Für die Linksfraktion betonte Helmut Holter: Es gebe niemals eine Gemeinsamkeit mit NPD und AfD, stattdessen gelte: »Demagogen muss man bekämpfen!« Es sei Aufgabe aller demokratischen Kräfte, dafür zu sorgen, dass rechtes Gedankengut verschwindet - sowohl aus den Köpfen als auch aus den Parlamenten.

Nicht nur diese Ausführungen störten NPD-Abgeordnete immer wieder durch Pöbeleien. Aber: Ein Rückblick in die Geschichte des deutschen Parlamentarismus zeigt, dass solch ein Verhalten durchaus kennzeichnend ist für Rechtsextremisten.

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