Besuch bei Deppen

Warum der »Bild«-Pranger gegen rassistische Fremdenfeinde kein richtiges Mittel zum Zwecke ist

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Flüchtlingsinitiativen schlagen Alarm: Die rechte Tageszeitung »Das Abendland« hat nicht nur Klarnamen und Wohnort von Unterstützern Asylsuchender veröffentlich, sondern einigen einen Hausbesuch abgestattet. Abendland-Reporter Lutz B. klingelte unangekündigt an ihren Türen und überfiel die irritierten Bewohner mit der Frage: »Warum unterstützen Sie diesen linksgrünen Asylbetrug?«

Die Rechtspostille »Das Abendland« gibt es nicht. Doch solch ein fiktiver Fall müsste genügen, um Befürworter des aktuell abgehaltenen »Bild-Gerichtshofs« (»Tagesspiegel«) zu überzeugen, dass ihr vielleicht edles Motiv eher ein Fußtritt gegen die Grundrechte ist. Frage: Heiligt der Zwecke die Mittel?
»Bild« hatte am Dienstag auf einer Doppelseite zunächst den »Pranger der Schande« ausgerufen und auf einer Doppelseite 42 Kommentare von Facebooknutzern voller Hass und Rassismus veröffentlicht. Einen Tag später setzte Axel Springers Publikation fürs Grobe nach und bescherte den Hasskommentatoren unfreiwillige Homestorys: Bild-Reporter statteten einigen einen Hausbesuch ab und verpackten ihr pseudoinvestigatives Ansinnen in der Frage: »Wer sind die Menschen, die im Internet hetzen und Hass verbreiten?« Ganz so, als würde »Bild« seine Leserschaft nicht kennen und hätte noch nie etwas vom Rassismus der Mitte gehört.

Springer gelingt das unglaubliche Kunststück, dass sich nun Verteidiger demokratischer Grundrechte, zu denen neben dem Recht auf Asyl auch Persönlichkeitsrechte gehören, vor offensichtlich fremdenfeindliche Brandstifter im Geiste stellen müssen. Bildblog-Autor Mats Schönauer fragt: »Was soll das bewirken? Dass die 40 Abgebildeten jetzt stellvertretend für all die Dumpfnasen sozial geächtet, von ihrer Familie verstoßen und von ihrem Boss gefeuert werden?«

»Bild«-Chef Kai Dieckmann interessiert diese Kritik nicht. Stattdessen verteidigt er den Pranger mit den Worten, seine Zeitung könne nicht zulassen, wenn da ein Klima des Hasses erzeugt wird, »was wir nicht wollen.« Offensichtlich hat Springer aber nicht einmal die mittelalterliche Idee des Prangers verstanden, denn der öffentlichen Schande ging in der Regel ein Gerichtsverfahren voraus. Springer hingegen erklärt sich selbst zur Judikative, zum Richter, der den zuständigen Behörden ein Urteil vorwegnimmt und damit indirekt selbst den Staat angreift und dessen Wirken infrage stellt.

Die Frage nach dem Nutzen dieser Provokation stellt auch Toralf Staud bei »Deutschlandradio Kultur«. Der Journalist weist darauf hin, dass sich viele Anhänger von Pegida und anderen fremdenfeindlichen Bewegungen in den sozialen Medien unter einer »Meinungsglocke« versteckten. Sprich: Ihnen ist sowieso egal, was in der »Lügenpresse« steht. Insofern ist der »Bild«-Pranger allenfalls eine weitere Steilvorlage rechter Zeitgenossen, sich selbstgefällig in der Rolle des Opfers der »links-grünen Systemmedien« zu gefallen. Lutz Bachmann, Björn Höcke und Akif Pirinçci machen es uns vor.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Aus dem Netz gefischt
- Anzeige -
- Anzeige -