Goldmedaille für Frau Mehlan
David Behre wird Weltmeister der Para-Leichtathleten über die Strecke seines Idols
Sein wichtigster Weg zur Feier des WM-Titels über 400 Meter wird David Behre zurück nach Moers führen. Genauer gesagt zu Evelyn Mehlan. »Ich werde sie auf jeden Fall auf einen Kaffee einladen«, sagt der Weltmeister der Doppel-Amputierten »Und dann werde ich ihr meine Medaille präsentieren«.
Die 63-Jährige hatte vor etwas mehr als acht Jahren, am 8. September 2007, die Hilfeschreie von David Behre gehört. Wie viele andere Nachbarn auch. Im Gegensatz zu denen rannte die damals nach zwei Herzinfarkten schon verrentete Dame aber los und packte entschlossen an. »Sie hat sogar die Erstversorgung gemacht«, sagte Behre: »Wäre Frau Mehlan nicht gekommen, wäre ich wohl erfroren oder verblutet.«
Den Weg des Profisportlers Behre verfolgt Evelyn Mehlan seitdem mit Stolz, und deshalb ist es für ihn ein Anliegen, sie nach seinem ersten internationalen Einzeltitel zu besuchen. Das krampfhafte Weghören der anderen will er nicht verurteilen. »Das ist eine Frage der Zivilcourage«, sagt der 29-Jährige: »Viele haben Angst, irgendwas falsch zu machen.«
Doch für David Behre ging es in diesem Moment um Leben oder Tod. Er war mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause gewesen. 400 Meter, ausgerechnet, vor dem Ziel kam er an einen Bahnübergang. Die Schranken waren offen, Behre fuhr weiter - und dann kam von rechts ein Zug. »Der hat mich erwischt, ich hing mit dem Fahrrad rund 130 Meter dran, hatte keine Kraft mehr und bin runtergerutscht. Das rechte Bein wurde abgefahren, kurz darauf das linke«, erzählt der Leverkusener: »Ich lag drei Stunden im Schockzustand im Dornengebüsch. Als ich wach wurde, wollte ich aufstehen, konnte es aber nicht, habe überall Blut gesehen und gemerkt, dass meine Füße fehlen. Ich bin den Bahndamm hinaufgerobbt und habe um Hilfe gerufen.« Trotz Frau Mehlans beherzten Eingreifens ist es »ein Wunder«, dass Behre überlebt hat: »Die Ärzte sagen, sie kennen keinen vergleichbaren Fall. Ich bin einfach nur jeden Tag glücklich, dass ich lebe.«
Sogar erfolgreicher Sportler ist er nun. »Ich bin damals Motocross gefahren und habe immer vom Profisport geträumt, hätte das aber nie erreicht. Da muss erst so ein Schicksal kommen.« Am fünften Tag nach dem Unfall machte Behre erstmals den Fernseher an und sah zufällig einen Bericht über den südafrikanischen »Blade Runner« Oscar Pistorius, der mit zwei Stelzen sogar Menschen mit zwei Beinen davonlief. »Ich habe sofort alle verrückt gemacht, weil ich das auch wollte«, sagt er: »Oscar hat mich praktisch inspiriert, diesen Sport zu machen.«
2011 erzählt Behre dem Südafrikaner bei der ersten gemeinsamen WM diese Geschichte. Pistorius ist gerührt. »Jetzt, acht Jahre später, Gold zu gewinnen über die Strecke, die Oscar berühmt gemacht hat«, sagt der neue Weltmeister deshalb: »Da schließt sich ein Kreis.« Und er glaubt deshalb, »dass Oscar sich freut, dass ich gewonnen habe«.
Pistorius, der 2012 sogar bei den Olympischen Spielen in London über 400 Meter gestartet war, wurde inzwischen für die fahrlässige Tötung seiner Freundin Reeva Steenkamp am Valentinstag 2013 verurteilt und vergangene Woche von der Haft in den Hausarrest überstellt. »Wäre er hier gewesen, wäre das ein ganz anderer Lauf gewesen. Er war schon auf einem anderem Level«, sagt Behre: »Ich will nicht sagen, ich hätte ihn geschlagen. Aber er war aus den bekannten Gründen nicht da, und ich habe das optimal genutzt.« Und Evelyn Mehlan freute sich mit. SID/nd
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