Galt die »Georg Büchner« noch als Schiff?
Ursache des Untergangs ist noch immer nicht geklärt - Polnisches Gericht sieht sich vielen Fragen gegenüber
»Der genaue Hergang des Unglücks wird wohl nie zu ermitteln sein«: So hatte Steffen Wiechmann vom Rostocker »Freundeskreis Maritimes Erbe« vor eineinhalb Jahren im Gespräch mit »nd« auf das Schicksal der »Georg Büchner« zurückgeblickt. Die Seekammer des Bezirksgerichts Gdansk (Danzig) will diese Befürchtung nun widerlegen. Doch Antworten auf die Fragen, die das Versinken des Schiffes vor der polnischen Küste aufgeworfen hat, gab es noch nicht.
Zunächst muss wohl geklärt werden, ob es sich bei der »Georg Büchner« auf ihrem letzten Weg noch um ein Schiff im Sinne polnischen Rechts gehandelt hat. Der Anwalt der Reederei, deren Schlepper seinerzeit mit dem Transport beauftragt worden war, bestreitet das, denn: Die »Georg Büchner« habe nicht mehr selbst navigieren können, sei ohne eigenen Antrieb durch die Ostsee gezogen worden, sei in keinem Schiffsregister mehr verzeichnet gewesen. Für solch ein Objekt aber sei die Seekammer gar nicht zuständig, gab Anwalt Roman Olszewski vor Gericht zu bedenken.
Gehör fand dort auch das polnische Amt für maritime Angelegenheiten. Seine Prozessvertreterin forderte: Die »Georg Büchner« möge gehoben werden, das in 37 Meter Tiefe liegende Wrack gefährde die Umwelt, liege zu nahe an der Fahrrinne und verhindere den Bau einer Gas-Pipeline.
Doch wer soll es heben, die teure Bergung bezahlen? Der Eigentümer? Wem hat das Schiff gehört, als es sank? Ist der Untergang der »Georg Büchner« irgendwie von irgendwem mutwillig herbeigeführt worden mit Blick auf eine hohe Versicherungssumme? Gemunkelt wird von 1,3 Millionen Euro. Dagegen habe der Schrottwerte nur bei 700 000 Euro gelegen, war zu hören. Nach dem Versinken des Schiffes gab und gibt es Gerüchte, Spekulationen - aber keine Klarheit über Ursachen und Hintergründe des Geschehens.
Rückblende: Als »Charlesville« war das 153 Meter lange Schiff 1950 vom Stapel gelaufen, beförderte Passagiere und Frachten zwischen Belgien, der früheren Kolonie Belgisch Kongo und Angola. Nach dem revolutionären Vormärz-Dichter Georg Büchner wurde das Schiff neu benannt, nachdem es 1967 der VEB Deutsche Seereederei Rostock erworben hatte und es als Frachter - er verkehrte zwischen der DDR, Mexiko und Kuba - sowie zur Ausbildung künftiger Seeleute nutzte.
Mit der Seefahrt war es für die »Georg Büchner« 1977 vorbei, sie diente fortan in Rostock als Ausbildungsstätte, Hotel und Jugendherberge. »Schorsch« nannten die Hansestädter das Schiff, und viele von ihnen waren traurig, als es nach allerlei Hin und Her um Kauf, Verkauf und Eigentümerwechsel 2013 hieß: Der Erhalt wäre zu teuer - die »Georg Büchner« wird ins litauische Klaipeda gebracht, soll dort voraussichtlich verschrottet werden.
Am 28. Mai 2013 nahm sie der Schlepper »Ajaks« ans Tau, verließ den Rostocker Hafen. Schon bei der Abfahrt, so berichteten Zeugen, habe die »Georg Büchner« Schlagseite gehabt. Zwei Tage später sank sie um 20.25 Uhr nördlich der Halbinsel Hela auf Grund. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden, wurde vermeldet.
Warum hatte der Schlepperverband nicht geradewegs sein Ziel angesteuert, sondern war in einem auffälligen Zickzackkurs vor Danzig und Kaliningrad gefahren? War das Schiff wirklich so seetüchtig, wie es ihm offizielle Stellen vor dem Abschleppen bescheinigt hatten? Dazu will das Gericht in der Fortsetzung des Prozesses im Januar auch deutsche Behörden hören.
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