Auf dem Weingut der Chinesen
Martin Leidenfrost erlebte in einem Chateau in der Region Bordeaux die neue Weltordnung
Neulich nutzte ich meine Heiratspläne, um inkognito einem Fall von Arbeiterausbeutung nachzugehen. Da der Skandal auf einem Weingut der Region Bordeaux spielt, rührt er das französische Nationalgefühl an: Das betroffene Chateau zählt zu den 80 Weingütern im Médoc, die inzwischen in chinesischer Hand sind. Die drei Opfer sind Chinesen, und da das Weingut einem chinesischen Staatsunternehmen gehört, ist der Täter letztlich die Volksrepublik China. Die Ausgebeuteten werden von der kommunistischen Gewerkschaft CGT vertreten, unsere Kollegen von der kommunistischen Tageszeitung »L´Humanité« berichten. Die drei Klagenden werfen ihrem ehemaligen Arbeitgeber 934 Überstunden vor, rechtswidrig erzwungen und teils nicht bezahlt. Das Zimmermädchen, 24, habe in einer feuchten Kammer schlafen, von 9 bis 24 Uhr arbeiten und nachts noch den Rottweiler der Direktion ausführen müssen. Sie habe nicht einmal Zeit für ein Mittagessen gehabt.
Ich fuhr am Nachmittag mit meiner Verlobten hinauf. Es war gerade Punkt fünf, was man auch daran sah, dass die französischen Arbeiter als koordinierte Kolonne vom Weinberg herunterfuhren. Ein flaches Schlösschen aus dem 17. Jahrhundert, in Rosa und Beige, von drei Rosengärten umgeben. Auf den Anhöhen der Weingärten die beiden Attrappen von Kapellen, die sich im Werbefilm für Brautpaare so romantisch machen. Nur wenige Gäste blieben über Nacht. Die weißen Flügeltüren standen alle offen, vom Hof auf die Terrasse, durch einen Salon mit schwarzem Flügel und weißen Diwanen. Auf der Terrasse ließ man uns weiter degustieren. Eine Gruppe amerikanischer Touristinnen trat hinzu. Sie hatten eine Tour gebucht, die aus Reiten und Trinken bestand, und wurden von einer blonden Dame geführt, die aufgrund einer Skoliose brettartig gekrümmt ging. Sie süffelten Wein aus einer 100-Euro-Bouteille von einem besseren Chateau, Grand Cru. Die vier Atommeiler am anderen Ufer der Gironde hatten sie all die Tage nicht bemerkt.
Am Abend wurde ein Bankett für eine angereiste chinesische Gruppe gegeben. Da war eine neue Weltordnung etabliert am offenen Grill: Die Chinesen, die vom Kleidungsstil nicht recht zusammenpassten, waren am lautesten. Am zweitgrößeren Tisch saßen mit zwei desperaten Ehemännern die amerikanischen Reiterinnen. Wir schließlich stellten zu zweit Europa dar. Die gekrümmte Blondine tuschelte uns zu: »Für das Chateau geht’s um alles, diese Chinesen sind Weinhändler und sollen kaufen.« Der Direktor, ein vornehm angegrauter Galan mit sanft in die Stirn fallendem Lockenschopf, sagte hingegen: »Ach, das sind Freunde.« Er hatte einen Hund, den er mit milder Ironie als »Promenadenadel« beschrieb. Das war wohl der inkriminierte Rottweiler. Der Direktor toastete und küsste tüchtig am Chinesentisch, verwöhnte aber auch die Europäer am Katzentisch. Als die Chinesen besoffen zum Bus gingen, sprach ich die in der Hierarchie am höchsten stehende Weinhändlerin auf die arbeitsrechtliche Causa an. »Chinesen, die Chinesen ausbeuten?«, lachte sie. »Das glaube ich sofort!«
Die Nacht war still. Wir schliefen im Zimmer, in dem Brautpaare üblicherweise die Hochzeitsnacht bestreiten. Holzgetäfelte Wände, schlankes Weinglas auf grünem Marmor, über dem Bett ein Hauch von Himmelszelt. Wir hörten die rote chinesische Fahne im Nachtwind flattern. Um Punkt acht am Morgen rollte die Kolonne der französischen Arbeiter wieder hoch.
Die schöne Rezeptionistin erwies sich als Ukrainerin. Ich missbrauchte meine Stellung als Heiratswilliger und ihre Freude, Russisch sprechen zu können, und fragte nach der Causa. »Ich spreche sonst nicht so offen darüber«, legte sie los. Dann sagte sie, dass beide Seiten Fehler gemacht hätten. Nachdem das Chateau chinesisch wurde, hätten sich bereits in Frankreich lebende Chinesen um Jobs dort geprügelt, und nach Ablauf der Studentenvisa habe sich jede Seite auf die andere verlassen. Der Chinese, der nach der Übernahme als Co-Direktor agierte, sei nach dem Skandal abgezogen worden. Manchen Vorwurf wies sie zurück: »So feucht hatte sie’s nicht, mein Zimmer ist feuchter. Und sie konnte mittag essen!« Aus dem vertraulichen Gespräch lernte ich noch, dass eine Wiederholung derartiger Fälle unwahrscheinlich ist. Dies aber aus einem ganz anderen Grund: »Die chinesischen Gäste wollen nicht von Chinesen bedient werden.« Der Chinese von Welt will auf seinem Weingut Franzosen sehen.
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