Spenden nur für die »guten deutschen Obdachlosen«

Abgewiesene Frauen in Notunterkünften, neu ankommende Flüchtlinge, obdachlose Kinder - die Kältenothilfe warnt vor ihren Grenzen

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 1. November ist die Saison der Berliner Kältehilfe gestartet. In Notübernachtungen, Nachtcafés und Suppenküchen werden Obdachlose versorgt. Die Träger befürchten eine Überforderung.

Täglich am späten Nachmittag füllt sich der Innenhof in der Tieckstraße in Berlin-Mitte mit wartenden Frauen. Die meisten tragen schwere Tüten und Taschen mit sich. Sie vertreiben sich die Zeit mit Rauchen, in regelmäßigen Abständen fragen sie vorbeilaufende Hausbewohner nach der Uhrzeit. Punkt 19 Uhr öffnet die Notübernachtung für obdachlose Frauen im Erdgeschoss ihre Tür. Die Einrichtung ist eine der wenigen, die ausschließlich für Frauen und ganzjährig geöffnet hat. »Für viele Menschen werden die Obdachlosen erst im Winter sichtbar«, sagt die Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka. Das Problem bestehe aber das ganze Jahr.

Am ersten November ist in Berlin die Saison der Kältehilfe gestartet. Bis Ende März 2016 werden die 16 Notübernachtungen, die Nachtcafés und Suppenküchen geöffnet sein. 600 Übernachtungsplätze gibt es bereits, bis Anfang Dezember soll die Zahl der Betten auf 700 steigen, das wären knapp 170 mehr als im Vorjahr. »Ich habe den Eindruck, das Problem ist beim Senat angekommen«, so Berlins Diakonie-Chefin Barbara Eschen. Reichen dürfte die Zahl der Unterkünfte trotzdem nicht. Robert Veltmann, Geschäftsführer der GEBEWO, meint: »Wir gehen von rund 3000 obdachlosen Menschen in Berlin aus. Das sind aber nur vage Schätzungen.« Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, geht eher von gut 5000 Obdachlosen aus. Anders als etwa in Hamburg gibt es in Berlin keine offiziellen Statistiken, obwohl solche von sozialen Trägern immer wieder gefordert werden.

In der Notübernachtung Tieckstraße sind die neun Betten regelmäßig schnell belegt. Fast täglich müssen Frauen an der Tür abgewiesen werden. Die Chancen, spät am Abend noch ein Bett in einer anderen Notunterkunft zu bekommen, sind eher gering.

Die Trägerorganisationen fürchten zudem eine völlige Überforderung der Kältehilfe, sollten in diesem Winter auch zahlreiche Flüchtlinge auf die Notunterkünfte angewiesen sein. »Es darf nicht zu einer Konkurrenz von Wohnungslosen mit Flüchtlingen kommen«, sagt Kostka. Das könnte die negative Stimmung gegenüber Geflüchteten weiter anheizen. Puhl kennt das Problem aus der Bahnhofsmission. Oft würden Spenden abgegeben, aber nur für die »guten deutschen Obdachlosen«. Dabei hätten, so Eschen, die Flüchtlingszahlen mit dem steigenden Bedarf nicht viel zu tun. Schuld sei vielmehr die verfehlte Wohnungspolitik des Senats.

Damit Flüchtlinge nicht in den Einrichtungen der Kältehilfe landen, hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ein »rotes Telefon« zugesagt. Darüber sollen Mitarbeiter die landesweite Koordinierungsstelle benachrichtigen können, wenn Flüchtlinge in den Notübernachtungen auftauchen. Der Flüchtling soll dann, so zumindest die Absprache, abgeholt und in eine andere Unterkunft gebracht werden.

Geflüchtete seien in der Kältehilfe auch deshalb fehl am Platze, weil sie oft Kinder dabei hätten, meint Eschen. »Obdachlose Kinder dürfte es in Deutschland nicht geben.« In der ganzjährig geöffneten Notübernachtung in der Franklinstraße wurden in diesem Jahr über 500 Übernachtungen Minderjähriger registriert, ebenso viele mussten aus Platzgründen abgewiesen werden.

Für Barbara Eschen ist die Kältehilfe ein »Kristallisationspunkt sozialer Herausforderungen in der Stadt«. Was das bedeutet, erlebt die Streetworkerin Jennifer Kröger täglich. »Vor allem die Zunahme von Altersarmut macht sich bemerkbar.« Sie wird nicht selten zu Obdachlosen gerufen, die im Rollstuhl sitzen, die aufgrund einer Behinderung oder Demenzerkrankung nicht allein den Weg in die Notunterkünfte oder Krankenhäuser finden.

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