Historisches Treffen in Singapur
Peking und Taipeh schicken sich an, die langen Schatten der Geschichte hinter sich zu lassen
Zum historischen Händedruck soll es jetzt in Singapur kommen. Auf neutralem Boden in einem Hotel treffen sich dort die Präsidenten der Volksrepublik Chinas und Taiwans, Xi Jinping und Ma Ying-jeou. Noch nie seit dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 gab es diese Konstellation. Die Annäherung wollen sie vorantreiben und den Frieden sichern, heißt es. Doch in Taiwan sehen viele dem Treffen mit einer gehörigen Portion Skepsis entgegen.
China mit seiner 60-mal größeren Bevölkerung ist nicht nur Taiwans wichtigster Handelspartner, sondern auch die größte Bedrohung für dessen mühsam errungene Demokratie. Misstrauen gegenüber Peking ist noch immer weit verbreitet. Nun fühlen viele sich von ihrem eigenen Präsidenten überrumpelt, weil Ma das Treffen ohne Beteiligung des Parlaments vorbereitet und kurzfristig angekündigt hatte.
Nur zehn Wochen vor der Parlaments- und Präsidentenwahl am 16. Januar wittert Taiwans Opposition chinesische Wahlkampfhilfe: Die Regierungspartei Kuomintang (KMT) steckt im Stimmungstief, wird aber von Peking bei den Verhandlungen bevorzugt. Sie hat ihre Wurzeln in China und will die historischen Verbindungen zum Festland auf keinen Fall kappen. Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) betont dagegen Taiwans Eigenständigkeit.
In Taiwans Politik wirft die Geschichte einen langen Schatten bis in die Gegenwart. Offiziell heißt der Staat nicht »Taiwan«, sondern »Republik China«. Staatsgründer Chiang Kai-shek verpflanzte ihn auf die Insel, als er 1949 den Bürgerkrieg verloren hatte und mit seinen Truppen fliehen musste. Taiwan, zuvor japanische Kolonie, war ihm erst vier Jahre zuvor in den Schoß gefallen. Seine KMT herrschte hier fast 40 Jahre lang per Kriegsrecht.
Lange hatten beide Seiten den Anspruch, das ganze und einzig wahre China zu repräsentieren. Allerdings war Taiwan als »Nationalchinas« alleiniger anerkannter Repräsentant. 1971 beschloss die Generalversammlung allerdings, die Volksrepublik China als einzig rechtmäßigen Vertreter des chinesischen Volkes anzuerkennen und ihre Vertreter in den UN-Organen gegen die der »nationalchinesischen« auszutauschen.
In den Neunzigern wandelte sich Taiwan zur Demokratie. Die politischen Lager verliefen lange entlang der Identitätsfrage: »Chinese und/ oder Taiwanese?« Erst die jüngere Generation versteht sich überwiegend ganz selbstverständlich nicht mehr als Chinesen - und kann das mit dem Widerspruch, Staatsbürger der Republik China zu sein, unter einen Hut bringen.
Die KMT bekennt sich mittlerweile zur Demokratie, aber auch noch immer zur Idee eines wie auch immer gearteten »Einen China«. Das sieht Peking gerne. Noch lieber sieht es Ergebnisse. Präsident Ma dürfe in Singapur auf keinen Fall Zugeständnisse machen, warnt DPP-Chefin Tsai Ing-wen, die in allen Umfragen im Rennen um die Präsidentschaft vorne liegt. Ma kann nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Seinen Gegnern gilt er als »lahme Ente«, die jetzt gar nicht mehr das Mandat habe, wichtige Entscheidungen zu treffen. »So lange ich Präsident bin, muss ich meine Pflicht tun«, kontert Ma. Sein Treffen mit Xi sei auf jeden Fall gut für Taiwan. Dass seine Zustimmungswerte weit unter 20 Prozent liegen, gilt manchen auch als Ergebnis seiner Chinapolitik.
Die Annäherung trieb er schneller voran, als vielen Taiwanern lieb war. 2014 eskalierte die gärende Unzufriedenheit in der fast vierwöchigen Besetzung des Parlaments durch die Studenten der »Sonnenblumen-Bewegung«. Sie verhinderten den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit China. Seitdem treibt Taiwans Zivilgesellschaft die etablierten Parteien vor sich her.
Dass Ma seit langem einen Platz in den Geschichtsbüchern anstrebt, ist kein Geheimnis. Doch Xi ließ ihn stets abblitzen, um nicht den Eindruck zu erwecken, man verhandle auf Augenhöhe. Peking rückt seit jeher keinen Zentimeter von seinen Ansprüchen auf Taiwan ab, sorgt dafür, dass es international isoliert bleibt und setzt darauf, dass es zusehends in Chinas Orbit gezogen wird. Umso überraschender war es, dass Xi nun in das Treffen einwilligte.
Taiwans Regierung betonte im Vorfeld, man werde in Singapur keine Abkommen unterzeichnen und keine gemeinsame Erklärung abgeben. Einige Beobachter spekulieren jedoch darauf, dass Xi eine Trumpfkarte aus dem Ärmel zieht: China hält mehr als 1000 Raketen auf Taiwan gerichtet. Würde Xi deren Abzug verkünden, könnte die KMT sich als Garantin für Frieden und Sicherheit präsentieren und im Wahlkampf vielleicht noch einmal richtig punkten. Und da die Raketen auf mobilen Anlagen montiert sind, kann China ihre Ausrichtung auch wieder ändern.
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