«Von meinem nächsten Lohn kann ich mir ein neues Smartphone kaufen»

Jaquelin Caiulo, Konditorin Auszubildende (16)

  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist kurz nach vier, wenn bei Jaquelin Caiulo in Schöneweide der Wecker klingelt. In 15 Minuten fährt der Bus Richtung Friedrichshagen zu ihrer Arbeitsstelle. Den muss sie kriegen, um kurz vor fünf Uhr in der Backstube zu sein. Sie muss schnell sein. «Wenn ich ein bis zwei Minuten verschlafe oder der Wecker zu spät klingelt, dann verpasse ich den Bus. Wenn sie um fünf Uhr fertig eingekleidet in der Backstube steht, sind die anderen Kolleginnen und Kollegen schon da. Jaquelin darf, weil sie erst 16 ist, später kommen.

Die Dresdner Feinbäckerei in der Bölschestraße in Berlin-Friedrichshagen ist ein Traditionsbetrieb. Seit über hundert Jahren werden hier Backwaren in Handarbeit hergestellt und berlinweit an drei Läden verkauft. Bäcker- und Konditormeister Rainer Schwadtke rückt einen Stuhl und eine Kiste als Sitzgelegenheit heran. »Setzt Euch doch vor den Ofen, dort ist es schön warm«, sagt er und öffnet die Ofenklappe zur Kontrolle. Er ist stolz auf klassisches Handwerk, das er hier vermittelt. »Es ist schon ungewöhnlich, dass man selbst backt. In vielen anderen Bäckereien kommen doch nur noch tiefgefrorene Backwaren zum Verkauf. Ich finde, das schmeckt man auch.«

Was Handarbeit auch heißt, hat Konditorin Caiulo schnell gemerkt. Neben ihr auf dem Tisch stehen mehrere Paletten mit Eiern. Eins nach dem anderen schlägt sie in einen Plastikeimer. »300 Stück sind das insgesamt. Das ist zum Beispiel eine Arbeit, die ich nicht so gerne mache. Aber irgendjemand muss sie machen.« Danach muss sie Florentiner mit Schokolade überziehen. »Ich gebe mit dem Löffel auf jedes einzelne Gebäckstück etwas Schokolade«, dann sind Bärentatzen und schließlich Eclair dran. Caiulos Schürze hat sich mittlerweile bräunlich eingefärbt von der vielen Schokolade. Die Bleche sind schwer und müssen von der Backstube über den Hof in den Laden getragen werden. Vor allem bei Regen sei das eine Herausforderung. Aber die junge Frau ist ehrgeizig: »Wenn mir ein Missgeschick passiert, zum Beispiel ein Kuchen runterfällt, das würde mir vor den anderen ein schlechtes Gewissen machen. Man weiß ja, wie viel Arbeit da drin steckt.« Auch bei der Arbeit mit dem Spritzbeutel kommt sie schon mal kraftmäßig an ihre Grenzen. »Hier muss man alles können.« Trotzdem oder deswegen: »Dass ich Konditorin werden will, ist für mich schon länger klar. Das hat mich einfach interessiert.«

Das frühe Aufstehen nervt sie dabei weniger, als dass sie so früh ins Bett gehen muss. »Um 19 Uhr muss ich schlafen gehen. Wenn meine Freunde und Freundinnen dann noch in die Kneipe oder ins Kino gehen wollen, bin ich außen vor. Das ist schon doof«, sagt sie. Auch mit ihrem Freund habe es deswegen Probleme gegeben. Nachmittags allerdings, wenn sie nicht wie heute mit ihrer Mutter Arbeitsbekleidung kaufen geht, sitzt sie gerne mit ihren Freundinnen und Freunden an der Spree und unterhält sich über Probleme. Ein Thema sind dabei immer die Flüchtlinge, die momentan hier ankommen. »Wir haben viele davon in der Nachbarschaft, aber die machen auch Sachen kaputt. Letztens haben sie bei uns im Hausflur mit brauner Farbe rumgemalt. Das betrifft mich schon, ich denke mir halt meinen Teil. Zum Beispiel kriegen die eine BVG-Fahrkarte umsonst und viele meiner Freunde sind arbeitslos und bekommen keinen Ausbildungsplatz. Ich finde, das geht nicht mehr weiter so.« Auch sonst sieht sie eher schwarz für die Zukunft. Ob es denn doch etwas Positives gebe? Ja, sagt Jaquelin Caiulo: »Von meinem nächsten Lohn kann ich mir endlich ein neues Smartphone kaufen.« Konditormeister Schwadtke kommt vorbei, grinst, öffnet die Ofenklappe und balanciert ein Tablett mit türkischem Gebäck über unseren Köpfen. »Sitzen bleiben«, ruft er. Jaquelin Caiulo schaut sich um. »Darf ich jetzt weiterarbeiten«, fragt sie. Am Tisch hinter uns steht ein neuer Stapel mit Eiern. Daneben ein leerer Plastikeimer.

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