Die Erklärung für die Bremse

Wer führt Regie beim NSU-Prozess? Bundestag setzte neuen Untersuchungsausschuss ein

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Um das NSU-Netzwerk solider als bislang aufzuklären, setzte der Bundestag einen neuen Untersuchungsausschuss ein. In München stockt derweil der Prozess gegen NSU-Mitglieder und -Unterstützer.

Nun also hat die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe insgesamt fünf Verteidiger. Der Münchner Rechtsanwalt Hermann Borchert wird fortan als Wahlverteidiger der Hauptangeklagten agieren. Er ist Chef des Pflichtverteidigers Nummer vier, Mathias Grasel. Dieser farblose Jurist war kurz vor der Sommerpause in den Prozess eingestiegen, nachdem sich Zschäpe mit ihren ursprünglichen Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm verkrachte. Grasel hatte zu Wochenbeginn angekündigt, am Mittwoch namens seiner bislang schweigsamen Mandantin eine umfassende Erklärung abzugeben.

Zschäpe ist - so heißt es - die einzige Überlebende der rechtsextremistischen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). An allen bisher mehr als 240 Verhandlungstagen vor dem Oberlandesgericht München hat sie eisern geschwiegen. Nun waren über 50 Seiten Erklärung im Gespräch. Doch noch bevor die durch Eilmeldungen erzeugte Spannung inhaltliche Konturen erhalten konnte, fiel alles in sich zusammen. In der Verhandlung am Dienstag setzte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung bis zum kommenden Dienstag aus. Über die Gründe mag man spekulieren. Auch darüber, wer warum welchem vom wem erarbeiteten Konzept in dieser Phase des Prozesses folgen mag.

Hermann Borchert ist schon seit Längerem im Prozesshintergrund aktiv. Nicht nur über seinen jungen Kollegen Grasel. Er hatte auch direkte Verbindungen mit dem Vorsitzenden Richter. Und da wird es spannend. Bereits am 31. August hatte Richter Götzl Kontakt mit Borchert. Dabei wurde offenkundig bereits die Zschäpe-Erklärung angekündigt. Seither habe es mehrere Telefonate zwischen dem - offiziell noch völlig unbeteiligten - Anwalt und Götzl gegeben. Wer bislang eine Erklärung dafür gesucht hat, warum der Prozess seit der Sommerpause nur mit angezogener Bremse gefahren wurde, kann sich jetzt womöglich seinen Teil denken.

Ob und wie der Vorsitzende seine Richterkollegen darüber informierte, ist unbekannt. Sicher ist, dass andere Prozessteilnehmer - dazu gehören vor allem die Nebenkläger - von diesem Wissen ausgeschlossen waren. Wie das juristisch zu werten ist, mögen die Beteiligten miteinander ausmachen. Sicher allerdings ist, dass es geradezu eine Selbstverständlichkeit hätte sein müssen, den Familien der mutmaßlichen NSU-Opfer rechtzeitig anzukündigen, dass und wann sich Zschäpe erklären will.

Nicht gelöst ist eine weitere Frage. Angeblich soll Anwalt Grasel den Verteidigern von Ralf Wohlleben - Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath - schon vorab gesagt haben, dass man eine Zschäpe-Erklärung vorbereite. Er soll jedoch, so war gerüchteweise zu erfahren, darum gebeten haben, dass Wohlleben davon nichts erfährt.

Angeblich wurde der Jenaer Neonazi-Führer, dem unter anderem die Beschaffung einer Tatwaffe zur Last gelegt wird, denn auch von der offiziellen Ankündigung einer Zschäpe-Erklärung eiskalt erwischt. Trifft das zu, wäre zu fragen, was die drei Anwälte unter der bestmöglichen Vertretung ihres Mandanten verstehen. Zumal sie sich mit diesem auch über juristische Dinge hinaus verstehen.

Wann es zu Zschäpes Erklärung kommen wird, ist offen. Zuvor wird eine Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen sämtliche Richter erwartet, den die Wohlleben-Verteidigung am Dienstag gestellt hatte. Eine Gerichtssprecherin meinte am Mittwoch, dass über den Antrag nicht vor dem Ende der Woche entschieden wird.

Egal, was Zschäpe aussagen wird - es bleiben zahlreiche Fragen zum Thema NSU offen. Wie groß war das Netzwerk, das die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe umgab? Was haben Behörden wann gewusst und was möglicherweise vertuscht? Warum wurde so schlampig ermittelt? Insbesondere der Endpunkt des NSU in Eisenach am 4. November 2011 sowie der Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter am 27. April 2007 in Heilbronn bergen zu viele Unklarheiten. Und nach wie vor ist zweifelhaft, ob die Sicherheitsbehörden die richtigen Schlüsse aus ihrem Versagen gezogen haben. Um diese und weitere Fragen wird sich ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages kümmern, der am Mittwoch fraktionsübergreifend in seine Pflichten und Rechte eingesetzt wurde. Den Vorsitz wird der CDU-Experte Clemens Binninger übernehmen.

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