Batterien für die Wehrmacht

Ausstellung in Niederschöneweide dokumentiert die Zwangsarbeit für den Quandt-Konzern

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Von Conrad Adolf Schreiber ist nicht viel bekannt. Man kennt sein Geburtsjahr (1896), seinen Beruf (Kaufmann), weiß, dass er während der Zeit der Nazi-Herrschaft den Rang eines SS-Unterscharführers innehatte und während des Krieges in Berlin-Niederschöneweide ein Zwangsarbeiterlager leitete. Die Häftlinge dort mussten u. a. in der zum Quandt-Konzerns gehörenden Fabrik Pertrix Trockenbatterien und Taschenlampen für die Wehrmacht herstellen. Von den Sklavenarbeitern wurde Schreiber als äußerst grausam beschrieben. Er habe »schnell zugeschlagen« und nie »ruhig gesprochen«, sondern »immer geschrien«. Nach 1945 wurde der SS-Mann inhaftiert, kam jedoch bald frei, dann verliert sich seine Spur. 1971 konnte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR zwar seinen Wohnort im Westen herausfinden, juristisch wurde Schreiber jedoch niemals belangt. Wann er starb, wie er bis zu seinem Tod lebte - wir wissen es nicht.

Schreibers lückenhafte Biografie findet sich auf einer der Stelen der am Freitag im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit an historischem Ort des Zwangsarbeiterlagers in Niederschöneweide eröffneten Sonderausstellung »Batterien für die Wehrmacht - Zwangsarbeit bei Pertrix 1939-1945«. Das sagt viel über die über Jahrzehnte hinweg lückenhaft betriebene Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte in Westdeutschland aus. Aber nicht nur dort blieb das Thema Zwangsarbeit im Alltagsbewusstsein der Bevölkerung ein weißer Fleck. Die politische und juristische Aufarbeitung begann in der DDR, die sich als antifaschistischer Staat definierte, früher, doch aus Scham, sich durch Wegschauen schuldig gemacht zu haben, schwiegen und verdrängten auch hier weite Teile der Bevölkerung.

Wie in kaum einem anderen Lager ist das in Niederschöneweide stadtarchitektonisch fassbar. Das Lager, in dem ab 1943 Häftlinge aus den von der Wehrmacht überfallenen und okkupierten Ländern interniert waren, war von jedem Balkon, von jedem Fenster der umliegenden Häuser aus einzusehen - es liegt in einem Karree inmitten eines Wohngebiets. Zwangsarbeit, so der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner am Donnerstagabend beim Festakt zur Eröffnung der Ausstellung, habe im Deutschen Reich von niemandem übersehen werden können.

2006 wurde das NS-Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit eröffnet, seit 2013 wird dort in einer Dauerausstellung über die Geschichte des Zwangsarbeiterlagers informiert. Die jetzt gezeigten Exponate in einer zweiten ehemaligen Häftlingsbaracke beleuchten die Rolle der Firma Pertrix. Rund 2000 Zwangsarbeiter - KZ-Häftlinge, Berliner Juden und Kriegsgefangene - wurden dort in den letzten Kriegsjahren zur Rüstungsproduktion eingesetzt. Zentrales Anliegen der Ausstellung sei es, »den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern Namen, Gesicht und Stimme zu geben«, betonte die Leiterin des Dokumentationszentrums, Christine Glauning, in ihrer Eröffnungsrede. Die Kuratorin der Ausstellung, die Historikerin Uta Fröhlich, hat dafür in jahrelanger mühevoller Arbeit rund 1700 Einzelschicksale recherchiert. Manche Lebensläufe seien gut dokumentiert, so Fröhlich, viele andere müssen im Dunkeln bleiben.

Die Besucher können die Namen in einer visualisierten Medienstation recherchieren. Eines der darin dokumentierten Schicksale ist das der Familie Kocur. Theodor Kocur stammt ursprünglich aus einer wohlhabenden Bauernfamilie in der Ukraine, die zu Sowjetzeiten enteignet wurde. Gegen Kriegsende floh er mit seinen Eltern und drei Geschwistern vor der heranrückenden Roten Armee gen Westen. Dort fielen sie deutschen Truppen in die Hände und gelangten Anfang Januar 1945 nach Berlin, wo der 17-jährige Theodor bei Pertrix arbeiten musste. Bei Kriegsende schlug sich die Familie nach Bayern durch und emigrierte 1949 in die USA.

Theodor und seine sechs Jahre jüngere Schwester Maria hatten den weitesten Weg zur feierlichen Eröffnung der auch ihnen gewidmeten Ausstellung zu bewältigen. Dass die Überlebenden des NS-Terrors als Zeitzeugen auftreten können, wird mehr und mehr zur Ausnahme. Die Erinnerung wird an die nachfolgenden Generationen weitergegeben, die sie im kollektiven Gedächtnis bewahren müssen. Das wurde auch am Donnerstagabend deutlich. Die 90-jährige Czesława Daniłowicz aus Polen, die 1943 nach Berlin verschleppt wurde, musste ihre Teilnahme kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen absagen. Ihr Grußwort verlas die 16-jährige Schülerin Jule Fröhlich in eindringlichen, nachfühlenden Worten.

Hauptprofiteur der Zwangsarbeit in der Batterie-Fabrik war die Familie Quandt. Stellvertretend werden der NS-Wehrwirtschaftsführer Günther Quandt und sein Sohn Herbert Quandt in der Ausstellung porträtiert. Dass diese zustande kommen konnte, ist der nach der im August dieses Jahres verstorbenen dritten Ehefrau Herbert Quandts benannten Johanna-Quandt-Stiftung zu verdanken, die mit rund 5,4 Millionen Euro u. a. die Rekonstruktion zweier ehemaliger Unterkunftsbaracken finanzierte. Ein weiterer Geldgeber ist das Land Berlin. Am Rande der Eröffnungsfeier wurde bekannt, dass nach jahrelangen Verhandlungen der Haushaltsausschuss des Bundestages am Donnerstag beschlossen hat, die Arbeit des Dokumentationszentrums mit 330 000 Euro zu bezuschussen.

Zeitgleich mit der Ausstellung nahm auf dem Gelände des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers eine Internationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS) ihren Betrieb auf. Dort können sich künftig Jugend- und Schülergruppen mit den Mechanismen von Ausgrenzung und Ausbeutung während der NS-Zeit auseinandersetzen, damit, wie der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, in seiner Rede in einer Abwandlung des berühmten Zitats des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi betonte, das, was geschehen ist, nicht noch einmal geschehe.

Sonderausstellung »Batterien für die Wehrmacht«, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Straße 5, Treptow-Niederschöneweide, bis 20.11.16; www.dz-ns-zwangsarbeit.de

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