Mami, der ist echt!

Intendant Kay Wuschek über Bier, Katzentische, Manager und Büchners Frage

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Berliner »Theater an der Parkaue«, einst das zentrale Kinder- und Jugendtheater der DDR, wird 65. Dass seine Geschichte über jene Zeit hinausweist, glaubt nicht nur der heutige Intendant Kay Wuschek.

Kay Wuschek, Theater der Freundschaft - was hieß das damals für Sie?
Als ich während meines Studiums ins Theater der Freundschaft ging, hatte ich starke Erlebnisse. Ich sah die heutige Volksbühnen-Stammdiva Silvia Rieger als Lady Milford, es inszenierten Alejandro Quintana und Hermann Schein. Und ein Stück von dem berühmten Richard Leising lief. Das wollte ich sehen!

Der geheimnisvolle Dichter als Hausautor und Dramaturg.
Wenn ich an ihn denke, fällt mir Karl Mickel ein. In dessen Gedicht »Bier. Für Richard Leising« heißt es: »Weiße Blumen auf dem gelben Stiel./ Was tue ich? sagst du, ich deute/ An, sag ich. Die Wirklichweisen/ Wenn die was sagen, sagen die: Naja.« Eine herrlich offene, skeptische Welthaltung.

Zur Person

Kay Wuschek, Jahrgang 1963, geboren in Aschersleben, studierte Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität. Dramaturg und Regisseur an verschiedenen Bühnen, auch im Ausland, zwischen Bulgarien, Paris, Sibirien. Seit 2005 Intendant des Theaters an der Parkaue, dem größten und einzigen staatlichen Kinder- und Jugendtheater in Deutschland. Wegen gründlicher Umbauten spielt es derzeit im Prater, in der Tischlerei der Deutschen Oper, im Kulturhaus Karlshorst, im Haus der Kulturen der Welt. Wuschek als Regisseur: Mut zur Zumutung, er sieht Hell und Dunkel des Erzählens, Tragödie und Komödie als unbedingte Paarung fürs Kunsterlebnis beim Erwachsenwerden.

Sie gingen als Student der Theaterwissenschaften ins Kinder- und Jugendtheater. Wer ging mit?
Von meinen Kommilitonen? Niemand. Einige reagierten, als ginge ich zum Katzentisch.

Ist damit ein Statusproblem des Kinder- und Jugendtheaters erfasst?
Ich hatte dieses Problem nie. Mein Glücksfall.

Also gibt es keinen Unterschied zum Erwachsenentheater?
Nein, denn in beiden Institutionen arbeiten Erwachsene.

Sie wissen doch, was ich eigentlich meine.
Klar. Es gibt zwei große Unterschiede. Erstens: Wenn die Zuschauer im Kindertheater das Gefühl haben, sie werden von denen auf der Bühne nicht gebraucht, und sie sind also nicht wirklich gemeint - dann reagieren sie unverblümt zurück. Zweitens: Spieler und Regisseure des Kindertheaters könnten noch so berühmte Namen tragen - Prominenz rettet nicht über die Zeit, wenn die erzählte Geschichte nicht zündet.

Zu Ihnen kommen sehr häufig Schulklassen. Wer heute Schule sagt, löst teilweise erschreckende Assoziationen aus: Lärm, Undiszipliniertheit, Bändigungsnot. Bedrängt diese Stimmung auch das Theater?
Es gibt Pädagogen, die scheuen sich vor unserem Theater, weil sie befürchten, von den Schülern durch deren Verhalten während der Vorstellung entblößt zu werden. Sie möchten keine Blamage.

Verständlich.
Wir helfen. Wir bieten den Lehrern an, sich Vorstellungen vorher anzusehen, mit uns zu diskutieren - auch, um auf Fragen vorbereitet zu sein, die ihre Schüler stellen könnten. Eine Störung der Vorstellungen ist keine Kultur, Verstörung sehr wohl. Theater möge irritieren, um gemeinsam in ein Gespräch über Heikles, Verdrängtes, Ungebetenes, Anstößiges zu kommen. Das ist der Spaß, den die Arbeit macht - uns allen.

Schulklassen sind das eine - und die Familien?
Als ich in der Parkaue anfing, hatten wir drei Prozent Familienpublikum, jetzt sind es achtzehn Prozent. Interessant ist der Doppelblick, der sich einem Kind eröffnet. Es sieht sich selbst auf das Bühnengeschehen reagieren, es sieht aber auch, an welchen Stellen die Eltern oder Großeltern lachen oder sehr ernst werden. Das kann sich sehr vom eigenen Echo auf die Inszenierung unterscheiden. So wird man angeregt, Fragen aneinander zu stellen.

Zweifellos gibt es in der Kultur eine Tendenz zum Problemlosen, Leichten, schnell Eingängigen.
Darin widerspiegelt sich eine gesellschaftliche Stimmung, ja. Tatsache ist auch ein Auseinanderdriften der Kulturtechniken in den verschiedenen Generationen und eine, wie ich finde, allzu panische Reaktion darauf. US-Schüler zum Beispiel verbringen neun Stunden des Tages am iPhone. Das kann ich als Alarmzeichen nehmen, ich kann aber auch gelassen bleiben und Neugier entwickeln auf moderne Formen des Ästhetischen, der Kommunikation. Seit des jungen Werthers Zeiten geraten Ältere immer reflexartig in Unruhe: Wir wissen nicht mehr, was in den Köpfen unserer Kinder vorgeht. Buchmarkt, Radio, Fernsehen, Internet - immer dieser Hilferuf: Wir wissen nicht mehr, was in den Köpfen unserer Kinder vorgeht. Brecht sagte: Neue Sterne treten undeutlich ins Haus.

Ihr Theater spielt für Zuschauer von fünf bis fünfundzwanzig.
Ja, und unsere Überschrift lautet: Vielfalt. Also: Weltaneignung geschieht in jeder Generation anders, neu. Vermeintlicher Niedergang ist immer auch Beginn.

Mit dem Tod jedes Menschen stirbt, zum Beispiel, auch Goethes Werk ein Stück, aber mit der Geburt jedes Menschen wird doch auch die Chance wiedergeboren, dass Kunst einem Menschen etwas bedeutet.
Wie man sich der Kunst nähert, wie man Erfahrungen mit Liebe, Schmerz und Lust ausdrückt, das kann niemals festgeschrieben werden. Aber Liebe, Schmerz und Lust suchen garantiert und zu jeder Zeit einen Ausdruck - und finden ihn.

Sie sind schon lange Intendant. Hat sich das Berufsbild verändert?
Perspektivisch scheint es um die Vermehrung der Manager zu gehen: Einschaltquote erhöhen und Gewinn forcieren. Die Diskurse, die mit der Kunst einhergehen, müssen mitunter auf eine seltsame Weise verteidigt werden, als beeinträchtigten sie das Geschäft.

Ein Zukunftswunsch?
Dass kulturelle Bildung nicht mehr so oft als politischer Kampfbegriff benutzt wird, bei dem es im Grunde mehr ums Finanzielle als um Inhalte geht.

Sie glauben an die herzensbildende Kraft der Möglichkeitsräume im Theater.
Ja, was denn sonst! Wir hatten im Theater eine Vorstellung, in der ein Junge immer dann, wenn ein neuer Schauspieler die Bühne betrat, aufgeregt aufsprang und rief: Mami, der ist ja echt! Immer wieder dieser hellauf begeisterte, staunende Ausruf, bis der gesamte Saal in Heiterkeit ausbrach. Dieser Junge war überwältigt, er saß zum ersten Mal im Theater, er kannte offenbar nur Fernsehen und Kino.

Haben Sie ein Menschenbild?
Nein. Das wäre eine Rückkehr zur geistigen Enge. Wir malen auf der Bühne Bilder vom Menschen, und jede Farbe hat recht. Wir sind gewissermaßen Anthropologen, auf der Suche nach dem unbekannten Wesen Mensch. Ergründen werden wir uns nie. Wir kleben an Büchners Frage, was das wohl sei, das in uns lügt und stiehlt - und mordet. Aber das elende Konzept, den Menschen unumkehrbar für Verwertungstechniken zu programmieren, wird nicht aufgehen. Wir bleiben erweckbar für das Gute und Schöne.

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