Die unbekannte Akte

Zwickauer Brandermittler sagt in Sachsens NSU-Ausschuss aus - dem sein schriftlicher Bericht vorenthalten wird

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf 717 Seiten hat ein Ermittler der Polizei beschrieben, was er in den Ruinen des NSU-Verstecks in Zwickau fand. Das Untersuchungsgremium in Sachsens Landtag hat die Akte bisher offiziell nicht erhalten.

Es muss ein beeindruckendes Dokument sein: 717 Seiten stark, dazu eine Mappe mit 1088 Fotos und sieben Ordner voll Anlagen. So umfangreich ist der Bericht, in dem der Polizist Frank Lenk seine acht Tage währende Arbeit in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau dokumentiert hat. Dort flog am Nachmittag des 4. November 2011 das Versteck des braunen Terrortrios NSU in die Luft; Lenk wühlte sich später als Brandursachenermittler durch völlig verwüstete Räume und Berge an Schutt. Sein Bericht, an dem er anschließend elf Tage lang arbeitete, ging in mehrfacher Ausfertigung an den Generalbundesanwalt nach Karlsruhe; ein Exemplar blieb in seinem Büro in Zwickau. Dass er die Unterlagen habe, sagte er im Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags - »das war bekannt«.

Im Ausschuss sorgt die Aussage des 58 Jahre alten Brandexperten für Erstaunen. Das Gremium, das im Frühjahr 2015 eingesetzt wurde und an die Arbeit eines ersten Ausschusses anknüpft, forderte im Juni die Behörden des Freistaates schriftlich auf, relevante Unterlagen zu übermitteln. Auf Lenks Bericht wartet man bisher vergebens. In einem Brief aus dem Operativen Abwehrzentrum, den ein Vertreter von dessen Chef Bernd Merbitz unterzeichnete, erfährt das Gremium, der Bericht »liegt uns ... nicht vor«. Vertreter von LINKE und Grünen zeigten sich empört. Erst anlässlich der Befragung Lenks als Zeuge gelangten die Parlamentarier an eine Kurzfassung des Dokuments - die dessen Rechtsbeistand freilich aus dem Internet gezogen hatte.

Dem Bericht und einem fast zwei Stunden währenden Vortrag des Ermittlers ließ sich noch einmal entnehmen, wie aus einem ohnehin bemerkenswerten Brand samt Explosion ein Fall wurde, »mit dem ich vier Jahre später immer noch zu tun habe«, wie Lenk sagte. Detailliert führte er auf, wie sich allein in den Resten der Wohnung elf Waffen fanden, später im Brandschutt dann auch die »Ceska«, mit der die NSU-Terroristen in den Jahren 2000 bis 2006 acht türkisch- und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer getötet hatten. Er fand auch Handschellen, die zur Ausrüstung der in Baden-Württemberg ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter gehörten. In der Wohnung lagen zudem Masken, die bei Banküberfällen benutzt wurden, dazu Exemplare der Bekenner-CD des NSU. Insgesamt, sagte Lenz, seien 2250 Spuren gesichert worden.

Der Zwickauer Polizist hat über die Arbeit in der Frühlingsstraße 26 bereits mehrfach ausgesagt, unter anderem im Prozess am Oberlandesgericht München gegen Beate Zschäpe, die mutmaßlich für den Brand verantwortlich war. Im sächsischen Ausschuss ging es insbesondere um die Frage, wie der Tatort direkt nach dem Feuer gesichert wurde. Hintergrund sind Spekulationen, einige Fundstücke könnten nachträglich im Schutt platziert worden sein. Lenk schilderte allerdings, dass er persönlich den Tatort kurz nach der Explosion für alle außer ihm und seine Kollegen sperren und am nächsten Morgen Sperrzäune aufstellen ließ: »Ich gehe davon aus, dass niemand Zugang hatte«, sagte er. Der Brandexperte kann auch plausibel begründet, warum es möglich ist, dass in einer in weiten Teilen verwüsteten Wohnung noch Revolver, Banderolen von Geldbündeln und Zeitungsausschnitte gefunden werden konnten, die augenscheinlich unbeschädigt sind. Bündel von Papier würden in einem Feuer nur äußerlich verkohlt, sagte er; Objekte, die etwa im »Schatten« von Möbeln gelegen hätten, könnten einen Brand relativ intakt überstehen.

Ob Zschäpe diesen legte, um Spuren komplett zu vernichten, kann der Experte nicht sagen. Die NSU-Frau schaffte es, die Wohnung binnen 38 Minuten so in Benzin zu tränken, dass sie großflächig in Flammen aufging und Wände kollabierten. Zugleich sei ein mit Benzin angefachter Brand indes unkontrollierbar, sagte Lenk: »Sie sehen ja, dass wir trotzdem über 2000 Spuren sichern konnten.«

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