Vom dunklen Charme der Sachlichkeit

Die Berliner Kolumbarien atmen einen alten und doch sehr modernen Geist

  • Martin Hardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Neobarock wurden vor rund hundert Jahren die ersten Kolumbarien in der Hauptstadt angelegt. Heute sind die kühlen Hallen auch Orte der Erinnerung.

Wenn es nach den Kirchen im 19. Jahrhundert gegangen wäre, sollten die Toten unversehrt auf den Tag der Auferstehung warten. Trotzdem entstand 1876 in Mailand das erste europäische Krematorium mit angeschlossenem Kolumbarium, dem schon zwei Jahre später die sehenswerte Anlage in Gotha folgte. Auch in Berlin erzählen einige dieser Urnenwandbegräbnisse von einem eher unbekannten Kirchenkampf. Kolumbarien sind eindrucksvolle Alternativen zum bekannten Urnengrab.

Neobarock und mit goldener Schrift verlautbart eine große Grabplatte seit den 20er Jahren den Anspruch einer Familie, auch in dieser stillen Gemeinschaft etwas gleicher zu sein. Damit gehört sie zu den ersten, die sich im Kolumbarium des Berliner Friedhofs Wilmersdorf eine Familiengrablege leistete. Von 1923 bis 1990 war das angrenzende, denkmalgeschützte Krematorium in Betrieb. Seine Kuppel gehört, so wie das Minarett der Moschee gegenüber aus der gleichen Zeit, zu den Wahrzeichen dieses Stadtbezirks. Das Kolumbarium hat zwei Innenhöfe, von denen einer mit seinem fein plätschernden Springbrunnen tatsächlich etwas orientalisch wirkt. Es sind nur wenige Schritte vom Krematorium in die stillen Gänge der rechtwinkelig gebauten Anlage. Sie wird bis heute genutzt.

Ein frisches Grablicht flackert sanft am Fuß einer Urne. Das laminierte Foto eines sportlichen 40-Jährigen gleich daneben leuchtet im gleichen Rhythmus auf. Der dreistufige Tritt scheint gerade erst herangerückt worden zu sein, um das Bild hier in einer oberen Reihe aufzustellen. Aus einem der Nachbarräume duftet es leicht nach Räucherstäbchen aus Sandelholz. Vertrocknete Blumenkränze, frische Rosen in kleinen Vasen hängen an alten und neuen Haken, verdecken so manchen Namen und die Daten eines Kommens und Gehens in dieser Welt. Die Felder oder Urnen mit vietnamesischen Schriftzeichen sind jüngeren Datums so wie auch die wuchtigen Trauergefäße aus schwarzem Stein mit russischen Lettern. Bis unter den First reichen die großen und kleinen Fächer. Der Blick aus der großen Halle bis zu einem Bleiglasfenster in einiger Entfernung hat etwas magisches. Wenn sich das Auge an das Dunkel gewöhnt hat, kann es sein, dass es an einer zusammengesunkenen Gestalt hängen bleibt. Es ist nicht selten, dass sich hier ein Mensch zur inneren Einkehr, zu einem memento mori, einfindet. Es gibt Bänke in diesem Halbdunkel, und im Sommer bleibt es kühl.

1912 wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde für die Familien Vohsen und von den Steinen das erste Kolumbarium Berlins errichtet. Das erste eigenständige Kolumbarium der Stadt war jedoch die 1916 nach Entwürfen von Scherler errichtete zweigeschossige Urnenhalle des »III. Städtischen Friedhofs Stubenrauchstraße« im alten Ortsteil Friedenau. Das in dunklem Ziegel gehaltene, etwa 50 Meter lange Gebäude mit einem Kuppelbau in der Mitte hat schon eine gewisse Düsternis. Geht es im Wilmersdorfer Kolumbarium zumindest in einem Raum noch in den ersten Stock, ist das Friedenauer Kolumbarium vollständig unterkellert. Wer hier durch die ebenerdigen Abteilungen wandelt, wird durch große Bodeneinlässe, die den Blick auf Begräbnisse in der Kelleretage freigeben, an die Unterwelt erinnert.

Man sollte sich aber den Abstieg in die Friedenauer Katakomben durchaus nicht entgehen lassen. Doch der Friedhof ruft von draußen. Wer mit dem Rücken zum Kolumbariumseingang steht, sollte linker Hand einen großen grünspanenen Engel auf einem Grab erkennen. In seinem Schatten, drei oder vier Gräber nach rechts, steht der bescheidene Stein der einzig wirklichen deutschen Filmdiva. Marlene Dietrich ließ sich dort beerdigen, wo auch ihre Mutter liegt. Die Zahl der Kreativen, die hier begraben liegen, ist enorm. Helmut Newton ist einer der bisher letzten in einer langen Reihe.

Neben den schon genannten Berliner Kolumbarien ist auch die Anlage auf dem Urnenfriedhof in der Gerichtstraße in Wedding sehenswert. Das dortige Kolumbarium ist Teil der prächtigen, neoklassizistischen Krematoriumsanlage. Sie ist die älteste Berlins, aber auch nicht mehr in Betrieb.

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