Der Anti-Roewer

Thüringens neuer Verfassungsschutzchef sorgt für kollektive Irritation

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Chefposten des Thüringer Verfassungsschutzes wird wiederbesetzt - mit einem, der in keine Schublade passen will. Die rot-rot-grünen Reformpläne für den Dienst treten in ihre entscheidende Phase.

Den Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten umgibt eine besondere Aura. Das hat immer noch mit der Person Helmut Roewer zu tun. Der hatte diesen Job zwischen 1994 und 2000 inne. Über ihn kamen vor allem durch die NSU-Aufklärung so manche ziemlich obskure Geschichten ans Licht. Dass er bei seiner Ernennung zum Chef des Thüringer Inlandsnachrichtendienstes nach eigenem Bekunden betrunken war, gehört da noch zu den harmloseren. Einst erklärte er öffentlich, er wisse er auch nicht mehr, wer ihm seine Chef-Ernennungsurkunde überreichte. Er habe sie am Morgen nach dem Rausch in seiner Jacke gefunden. Roewer hat solche Geschichten stets mit wenigen und meist patzigen Worten erzählt.

Und nun steht da also Stephan Kramer und plaudert in der Thüringer Staatskanzlei ungezwungen mit Menschen, die er noch nie zuvor gesehen hat; auch über seinen Bildungsweg, der nicht gerade gradlinig war und viele Fragen provoziert, vor allem die, was den 47-Jährigen qualifiziert, Nach-Nach-Folger Roewers zu werden und damit eine Behörde zu leiten, in der Roewers Blick auf die Welt noch anzutreffen sein soll. Roewers Nachfolger und Kramers Vorgänger, Thomas Sippel, hatte 2012 seinen Job verloren, nachdem der NSU aufgeflogen war und viele Ungereimtheiten den Verfassungsschutz ins Zwielicht rückten. Seitdem war der Chefposten unbesetzt. Und seitdem gibt es Versuche, die Behörde zu reformieren, besser zu kontrollieren. Auch Rot-Rot-Grün hat sich das vorgenommen.

Die Berufung Kramers an die Spitze des Thüringer Nachrichtendienstes ist dabei ein gelungener Coup des Regierungslagers. Einmal, weil Kramer tatsächlich den Neuanfang verkörpert, den das LINKE-SPD-Grüne-Bündnis für den Dienst versprochen hat. Nicht zufällig eben hat Kramer schon seinem Auftreten nach nichts mit Roewer gemein. Auch seine Biografie unterscheidet sich deutlich von der eines Sicherheitsapparatlers. Kramer war zwar nach eigenen Angaben etwa 15 Jahre lang als Student der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaftslehre an verschiedenen Universitäten eingeschrieben. Nur hat er darin nie einen Abschluss gemacht. Dafür studierte er zwischen 2009 und 2015 an der Fachhochschule Erfurt Sozialwesen und soziale Arbeit. Mit zwei Abschlüssen als Ergebnis.

Und: Weil Kramer zwischen 1998 und 2014 verschiedene, zuletzt hochrangige Funktionen im Zentralrat der Juden in Deutschland innehatte, ist er jemand, der auch bei der Basis der Thüringer LINKEN Vertrauensvorschuss genießt; obwohl die Partei den Verfassungsschutz doch ganz abschaffen will. Bezeichnende Reaktion des LINKE-Innenpolitikers Steffen Dittes: »Wir sind froh, dass hier eine Personalentscheidung getroffen wurde, die die alte Kontinuität zur Besetzung solcher Posten aus Verfassungsschutzbehörden heraus unterbrochen hat«. Auf jeden Fall brauche das Amt einen Präsidenten, der die rot-rot-grünen Reformpläne für den Dienst trage. Dass Kramer ein Quereinsteiger in die Welt der Nachrichtendienste ist, wird seinen Job allerdings zweifellos nicht nur für ihn noch schwieriger machen, als es die Führung ausgerechnet dieses Inlandsnachrichtendienstes ohnehin ist. Anders als es immer wieder diskutiert wurde, arbeiten beim Verfassungsschutz nämlich offenbar noch immer im Wesentlichen die gleichen Menschen, die zuletzt so viel Kritik erfahren haben.

Zudem bringt Kramer auch Vorstellungen zu seinem neuen Job mit, die ihn bei vielen politischen Akteuren anschlussfähig machen, ihm aber auch vielfachen Widerspruch sichern. Gerade im linken Lager. Beispiel Bedrohungsanalyse: Am wichtigsten, sagt Kramer, sei aus seiner Sicht derzeit die Beobachtung des Islamismus. Erst dann folge die Beobachtung des Rechtsextremismus. Dann sagt er Dinge, die Linke gerne hören; etwa: Bei der Lageeinschätzung wolle er mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Wofür ihm Widerstand von links sicher ist: Auch Linksextremisten werde er im Blick haben. Mit Kramers Berufung geht das rot-rot-grüne Reformexperiment »Thüringer Verfassungsschutz« in eine entscheidende Phase.

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