Das Ende einer Ära
Wladimir Klitschko erleidet im WM-Kampf gegen Tyson Fury Totalschaden, ein Rückkampf ist vereinbart
Tyson Fury zählte in den Katakomben der Esprit-Arena in Düsseldorf weit nach Mitternacht immer wieder die vor ihm aufgebauten Weltmeistergürtel der großen Box-Verbände WBA, IBF und WBO. Neben ihm saß nach der Box-Sensation des Jahres fast apathisch der entthronte Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko. Sein Gesicht sah ziemlich lädiert aus.
Tatsächlich hatte der 39 Jahre alte Titelverteidiger kurz zuvor einen sportlichen Totalschaden erlitten. Der Ukrainer zeigte nach seinem Debakel Boxerherz und versprach: »Fortsetzung folgt.« Sein Bruder Vitali, der als gerade wiedergewählter Bürgermeister von Kiew wie immer als Betreuer in seiner Ecke stand, machte ihm Mut: »Die Show geht weiter. Wladimir wird stärker denn je zurückkommen.« Das sicher höchst lukrative Comeback ist vertraglich garantiert. »Es gibt ein Rematch«, sagte Klitschko-Manager Bernd Bönte.
Vor dem Kampf in Düsseldorf hatte Rock-Oldie Rod Stewart im Vorprogramm Playback gesungen, Fury im Ring zog hingegen alle Register. Der 27-Jährige schaffte etwas, was ihm kaum jemand zugetraut hatte und ließ seinen Sprüchen Taten folgen. Fury entthronte den als schier unbezwingbar geltenden Klitschko, der sich in der fünften Runde die erste blutende Wunde eingehandelt hatte, durch einen einstimmigen Punktsieg.
45 000 Zuschauer waren fassungslos. Der 1,98 Meter große Modellathlet Klitschko, der die Schwergewichtsszene über elf Jahre beherrschte und erst in der 19. Titelverteidigung scheiterte, wirkte wie ein Häufchen Elend. Das war nicht seine Nacht. »Er hat den Sieg verdient - Gratulation«, meinte er fair. Der hünenhafte Klitschko scheiterte nicht so sehr an einem etwa außerordentlich starken Herausforderer. Der Kampf hatte für Boxliebhaber wenig zu bieten. Klare Treffer mit Wirkung waren auf beiden Seiten Mangelware. Aber Fury war agiler, machte Eindruck als fast nie zu treffendes Ziel. Seinem Druck hielt Klitschko, der in seinen Schlägen nie die richtige Distanz fand, nicht stand.
Der Herausforderer ließ einen ratlosen Titelverteidiger zurück, der sich wohl auch durch die ständigen Provokationen im Ring von Fury aus dem Rhythmus bringen ließ. »Das Alter war es nicht. Wladimir fand zu keiner Zeit in den Kampf«, analysierte Ex-Weltmeister Henry Maske die zwölf Runden. Die Punktrichter errechneten einen vielleicht etwas zu hoch geratenen 115:112, 115:112, 116:111-Vorsprung für Fury, der sagt, in seiner Familie spiele der Kampfsport seit 200 Jahre die Hauptrolle. Sein Vater John war in den 80er Jahren als Reisender in Sachen Boxsport von Pub zu Pub unterwegs und stellte sich seinen Kontrahenten als Bare-knuckle-Fighter mit bloßen Fäusten.
John sagte in der Nacht zum Sonntag über seinen 2,06 Meter großen Sohn mit heiserer Stimme: »Niemand hat es ihm zugetraut - niemand.« Die Gattin des neuen Weltmeisters, der ihr noch im Ring ein Ständchen gebracht hatte, um hinterher mit seiner Entourage eine Polonaise durch den Innenraum zu tanzen, war den Tränen nahe. Im kommenden Jahr erwartet sie ihr drittes Kind und Tyson versprach, ein ganz braver Ehemann zu sein - ohne Alkohol und große Partys.
Auch Klitschko dachte erst einmal an seine Familie. Seine Verlobte, die US-Schauspielerin Hayden Panettiere, saß am Ring und tröstete ihn. »Jetzt freue ich mich auf Weihnachten mit meiner kleinen Familie und den ersten Geburtstag meiner Tochter«, sagte Klitschko. Die sportliche Planung scheint vorerst zweitrangig. Er könne noch nicht sagen, »wie, wo und wann« der Rückkampf stattfinden werde. »Das sehen wir alles im nächsten Jahr«, ließ er wissen.
Der neue Champ ist bereit zum zweiten Durchgang - und der wird, wie dessen Trainer versprach, »explosiv«. Fury sei egal, »ob ich in Usbekistan, Japan oder wieder Deutschland boxe. Ich gewinne sowieso«. Klitschko nahm diese Prophezeiung regungslos entgegen. dpa
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