Giggelnde Schulmädchen, tonnenweise Kunstblut

Das »Fantasy Filmfest White Nights« zeigt in Berlin Horrorfilme und Thriller

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Fantasy-Filmfest findet dieses Wochenende eine zweitägige Fortsetzung. Gezeigt werden zehn neue und überaus originelle Thriller und Horrorfilme. Vielleicht sollte der eine oder andere ZDF- oder ARD-Verantwortliche da mal kurz reinschauen. Schaden kann es nicht.

»This is going to get bad really fast«, sagt unser Held, dessen Unterhemd schon bedenklich durchgeschwitzt aussieht und dessen in seinem Schnellfeuergewehr befindliche Munition langsam zur Neige geht, irgendwann in der Mitte des Films. Vor ihm bricht zum wiederholten Mal der Asphalt auf, und aus den Löchern, die sich auftun, krabbeln lava- und feuerspuckende Riesenspinnen, so groß wie Menschenkörper.

Moment. Feuerspuckende Riesenspinnen? Zugegeben, das ist nicht gerade das realistischste Szenario für einen Film, und auch neu ist die »Tarantula«-Idee nicht gerade. Aber das ist hier im Grunde scheißegal. Schließlich sind wir bei den Fantasy Filmfest »White Nights«, die am Wochenende in Berlin, Frankfurt am Main und Köln stattfinden: Zwei Tage, an denen jeweils fünf neue originelle Filme aus dem Horror-/Science-Fiction-Genre in deutscher Erstaufführung gezeigt werden.

In »Lavantula« etwa, wie das US-amerikanische Trash-Picture heißt, das fürs US-Fernsehen produziert wurde und an keiner Stelle einen Hehl daraus macht, eine Extrembilligproduktion zu sein, krabbeln eines Tages nach einem Vulkanausbruch in Los Angeles plötzlich gewaltige Spinnen aus dem Erdinneren und fallen über die Menschen her. Bis schließlich der oben zitierte Held, ein abgehalfterter Hollywood-Actionfilm-Star, der die alten US-amerikanischen Tugenden Tatkraft und Eigeninitiative noch nicht vergessen hat, sich mit viel Munition und einem Plan der Sache annimmt. Beeindruckend sind vor allem die wunderbar schlechten und billig am Computerbildschirm erstellten Explosionsimitationen und erbärmlichen Special Effects, durch die der Film, der natürlich auch eine Klamotte und eine Parodie auf den klassischen US-Bubble-Gum-Actionfilm und dessen Klischees ist, stark comichafte Züge gewinnt. In der Hauptrolle und in einer Nebenrolle sind hier übrigens zwei Schauspieler zu sehen, von denen man länger nichts Relevantes mehr gesehen und gehört hat: Den alten Hollywood-Actionhaudegen spielt Steve Guttenberg, einen seiner Kompagnons Michael Winslow. Beide Darsteller hatten es einst Mitte der 80er Jahre mit Hauptrollen in den ersten »Police-Academy«-Komödien zu einiger Popularität gebracht.

Des weiteren gezeigt wird der spanisch-US-amerikanische Schocker »Summer Camp«, in dem ein paar arglose junge Menschen, die als Betreuer in einem irgendwo in der spanischen Einöde liegenden Kinder-Feriencamp angeheuert haben, aus anfangs unerfindlichen Gründen eine dickflüssige schwarze Brühe erbrechen, sich für jeweils eine halbe Stunde schlagartig in reißende Bestien verwandeln und sich danach ebenso plötzlich wieder zurückverwandeln, ohne allerdings die geringste Erinnerung daran zu haben, wer oder was sie für die Dauer einer halben Stunde waren und in wen bzw. was sie in dieser Zeit unerlaubterweise ihre Reißzähne geschlagen haben. Ärgerlicherweise sind die Verwandlungs- und Rückwerwandlungszyklen bei den Betroffenen zeitlich derart ungünstig miteinander verzahnt, dass stets dann, wenn einer oder eine gerade aus seiner Raserei erwacht und sich an nichts erinnert, dem oder der anderen gerade unter Zuckungen das schwärzliche Zeug aus dem Mund zu sickern beginnt. Da kann man von Glück sagen, dass die lieben Kleinen erst am nächsten Tag im Sommercamp eintreffen und die jeweils unter allerlei Gehampel, Geknurre und Geschrei temporär zu werwolfähnlichen Monstren mutierenden vier jungen Erzieherinnen und Erzieher in der Nacht zuvor vorerst unter sich sind.

Der Film spielt liebevoll mit den Schock-Techniken des Horrorthriller-Genres, die er wieder und wieder zitiert: Die Anfangsszene etwa erlebt der Zuschauer per subjektiver Kamera als atemlos schnaufend durchs Dickicht flüchtender Gehetzter – bis nach einiger Zeit ersichtlich wird, dass es sich hier nur um ein Sport- und Trainingsspiel handelt, mit dem sich die vier jungen Schülerbetreuer auf ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen vorbereiten wollen.

Eine der sehenswertesten Produktionen dürfte wohl »Tag« sein, ein surrealer Highspeed-Splatter-Alptraum von einem Film, der eine der wohl hinreißendsten Eröffnungssequenzen überhaupt hat. Alles Wichtige ist jedenfalls drin im Film, von dem man meinen könnte, dass Quentin Tarantino, Takashi Miike, Philip K. Dick und Luis Bunuel ihn gemeinsam gemacht haben: giggelnde Schulmädchen in putzigen Matrosenanzügen, mit ratternden Schnellfeuergewehren amoklaufende Schullehrerinnen, ineinander verschachtelte Realitäts- und Fiktionalitätsebenen, tonnenweise Kunstblut, zahlreiche sauber abgetrennte Körperteile und nie zuvor ausprobierte Kamerafahrten. Und als Dreingabe eine recht nervenzermürbende Tonspur, die klingt, als würde im Hobbyraum nebenan eine Heavy-Metal-Band üben. Kurz: alles, wovon deutsche Regisseure noch nie gehört haben. Auch der Verzicht auf herkömmliche Logik und eine klassische lineare Story tun dem Film überaus gut. Ein Film, neben dem das gesamte Programm des ZDF auf einen wirkt, als würden dort 24 Stunden am Tag in Zeitlupe leblose Körper in mausgrauer Kleidung beim Ausfüllen und Diskutieren ihrer Steuererklärung gezeigt. Ich empfehle dieses Meisterwerk des gegenwärtigen asiatischen Hochgeschwindigkeitskinos, das wir dem auch sonst sehr guten japanischen Regisseur Shion Sono verdanken, ausdrücklich (in Berlin: Samstag, 20.30 Uhr).

Auch im Programm: »Baskin«, der erste türkische Horrorfilm, der je auf einem Fantasy-Filmfest gezeigt wurde.

»Fantasy Filmfest White Nights«. Am 5./6.12. in Berlin (CineStar Sony-Center), Frankfurt am Main und Köln, am 12./13.12. in Stuttgart, Nürnberg und München

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