Der Sport muss klären, wofür er steht

Anti-Korruptionsexpertin Sylvia Schenk rät dem DOSB zur Grundsatzdebatte und erkennt bei der FIFA gute Ansätze

  • Lesedauer: 6 Min.

Waren Sie davon überrascht, dass die Hamburger die Olympiabewerbung ablehnten?
Auch wenn ich kurz vor dem Ende anhand der großen Mobilisierung dachte, dass es für die Bewerbung reichen könnte, hatte ich doch immer damit gerechnet, dass es schiefgehen kann. Bis zum September war das Projekt in vielen Bereichen zu zäh angelaufen war. Man merkte, dass inhaltlich nicht genug vorgearbeitet war. Insofern war ich nicht überrascht, aber natürlich enttäuscht. Die große Katastrophe ist es jedoch auch nicht. Denn mit der Bewerbung hätte sich möglicherweise nichts an den Defiziten geändert, die der deutsche Sport angehen muss. Die Krise könnte nun zur großen Chance werden, um etwas in Bewegung zu bringen.

Welche Änderungen wünschen Sie sich denn?
Wir müssen erst einmal Sportdeutschland definieren. Der Begriff wird derzeit inflationär gebraucht, aber der deutsche Sport muss erst mal feststellen, wofür er steht. Welche Rolle spielen wir in der Gesellschaft? Welche Verantwortung haben wir? Ich hatte versucht, das in die Olympiabewerbung mit einzubringen, aber das müsste jetzt im ganzen Sport diskutiert werden. Wir haben in den vergangenen Monaten schon viel über Nachhaltigkeit und Menschenrechte gesprochen. Aber im Jahresbericht des DOSB steht dazu etwa in Verbindung mit den Europaspielen in Baku nichts. Die werden nur leistungssportlich ausgewertet, und es wird gefragt, ob man solche Spiele braucht. Aber zur Vergabe von Veranstaltungen an Länder mit Menschenrechtsproblemen habe ich nichts gefunden. Dabei hatten Politik und auch der DOSB dazu einiges gemacht. Und die deutsche Olympiabewerbung sollte darauf ja auch eine Antwort geben. Ich will da einen Gesamtansatz.

Das klingt nach moralischer Veränderung, keiner strukturellen.
Ein altes Unternehmermotto lautet: Form folgt Inhalt. Eine Strukturreform bei Präsidium und Vorstand hat es beim DOSB schon gegeben. Darüber hinaus muss man sich erst über die Inhalte klar werden. Manche meinten wohl, mit einer Olympiabewerbung erledigt sich das von selbst.

Der Sport soll sich also klarer artikulieren?
Ja, denn er macht auch schon viel für diese Gesellschaft. In der Integrationsfrage von Flüchtlingen ist der Sport ein ganz entscheidender Faktor. Auch die ganz normale Arbeit mit Jugendlichen ist ungeheuer wichtig. Das muss man dann aber auch mal sagen. Hier fehlt es an einer Grundsatzstrategie.

Hätten Olympische Heimspiele dazu überhaupt gepasst?
Ich denke schon, aber sie wären die Folgerung aus einer Strategie gewesen, nicht andersherum. Der Sport hätte erst mal fragen sollen: Wofür steht dieses Land? Wofür steht Olympia in diesem Land? Was ist die Botschaft? Und danach hätte man sich eine passende Stadt aussuchen können. Stattdessen wurden zwei Städte gefragt, was sie denn wollen.

Auch dieser Ansatz hätte letztlich zu einer Bewerbung unter Führung des DOSB geführt - oder eben der Sportelite, wie es Olympiagegner ausdrückten. Zeigen die Referenden nicht, dass Olympia als Bewegung von unten entstehen muss?
Referenden sind noch ein relativ neues Instrument. Es fehlt noch die Erfahrung damit. Wir leben aber in einer Gesellschaft, in der viel mehr erklärt werden muss, warum man etwas macht. Glaubwürdigkeit von Politik und Sport sind nicht per se gegeben. Sie muss hart erarbeitet werden. Ein Referendum braucht also mehr Vorbereitung und eine viel stärkere Argumentation. Es geht mir dabei nicht darum zu sagen, wer Schuld hat. Es kann aber allen nur helfen, zu erklären, wo man Defizite gespürt hat, um es besser zu machen.

Warum fehlte es an Argumentationsstärke?
Die Olympiagegner hatten mit Ausnahme eines Wissenschaftlerpapiers keine starken Argumente. Da war viel sehr platt, unbegründet und plakativ. Diese Schwäche wurde aber zur Schwäche der Befürworter. Denn ohne einen starken Gegner muss ich meine eigenen Argumente nicht intensiv ausarbeiten. Auch die Medien waren alle sehr positiv eingestellt. Dadurch fehlte es an einem intensiven Pro und Kontra, und an einer Debatte darüber, warum Risiken eher Chancen als Gefahren sein könnten. So wurden viele Befürworter vielleicht eingelullt. Sie rechneten nicht mit einer Niederlage, weil der Gegner so schwach war.

Die Zeit bis zum Referendum war besonders in der Finanzierungsfrage sehr kurz. Ein Fehler?
Die Berechnungen der Hamburger waren so detailliert, wie sie in dieser Phase eigentlich noch zu früh sind, da der Kostenaufwand dafür schon sehr hoch ist. Das hätte man vor der Stadtauswahl niemandem zumuten können, sonst hätte auch Berlin so viel Geld dafür ausgeben müssen. Aber die Grundstruktur mit dem Bund zu diskutieren, welche Kosten der Bund übernehmen würde und welche nicht, das hätte man auch in der kurzen Zeit vorher schaffen können.

Noch ein paar Fragen zur FIFA: Zeigen die neuerlichen Verhaftungen nach Ermittlungen des FBI, dass ein Kulturwandel im Fußball-Weltverband immer noch weit entfernt ist?
Es geht bei den FBI-Ermittlungen im Grunde nicht um Vorgänge bei der FIFA selbst, sondern meist um solche auf dem amerikanischen Kontinent. Süd- und Mittelamerika sind problematisch, das geht auch aus unserem Korruptionsindex hervor. Daher kommen nicht automatisch die integersten Personen in hohe Ämter im Fußball. Und in die FIFA-Exekutive wählte sie auch der Kontinentalverband. Zwar wird vorher ein Integritätscheck durchgeführt, doch wer nicht vorbestraft ist, kommt auch gut durch diese Überprüfung. Alle Instrumente haben ihre Grenzen. Selbst mit dem tollsten Präventionsprogramm sind Betrug, Korruption und Diebstahl nicht zu 100 Prozent auszuschließen. Nach meiner Einschätzung gibt es aber in der FIFA viele, die froh über solche Nachrichten sind. Sie selbst haben dafür meist nicht die nötigen Informationen. Wenn korrupte Personen aber ausgeschlossen werden, macht es ihre Arbeit leichter, die Kultur zu ändern.

Gibt es in der FIFA denn genügend Reformer?
Es gibt in der Exekutive schon einige neue, die Gutes leisten. Und in der hauptamtlichen Administration arbeiten schon lange einige richtig gute Mitarbeiter. Der stellvertretende Generalsekretär, der die Geschäfte derzeit führt, Markus Kattner, ist seit 2007 auf dem Posten und hat systematisch den administrativen Apparat auf ein höheres Niveau gebracht. Selbst kritische Organisatoren erkennen das an. Die Finanzberichte der FIFA sind seit Jahren auf dem höchsten internationalen Standard. Das IOC führt das jetzt erst ein. Das Problem der FIFA liegt bei den Offiziellen.

Plötzlich wird auch die Ethikkommission aktiv und sperrt hochrangige Funktionäre. Worauf ist das zurückzuführen?
Bis etwa 2013 durfte sie erst aktiv werden, wenn ein bestimmter Kreis von Personen einen Antrag stellte. Das ist schon mal geändert worden. Dazu kam der öffentliche Druck, als sie merkten: Wenn irgendetwas zu Michel Platini oder Sepp Blatter auf den Tisch kommt, müssen wir handeln. Und nach allem, was man hört, werden sie wohl auch länger gesperrt.

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