Noch mal von vorn

Nach dem WM-Aus der Handballerinnen gegen Norwegen steht erneut der Bundestrainer zur Debatte

  • Erik Eggers, Frederikshavn
  • Lesedauer: 3 Min.
Die deutschen Handballerinnen sind bei der WM im Achtelfinale gescheitert. Eine gewinnbringende Spielidee konnte ihnen Bundestrainer Jakob Vestergaard nicht vermitteln. Ob er bleibt, ist ungewiss.

Es klang nicht nur Enttäuschung durch bei Clara Woltering, sondern auch Trotz. »Wir sind als Team zusammengewachsen und lassen uns das jetzt nicht kaputtmachen«, sagte die Torfrau des BVB Dortmund, nachdem in der Arena Nord der Traum vom Viertelfinale bei der Handball-WM in Dänemark geplatzt war. Mit einer hohen 22:28-Niederlage gegen Europameister und Olympiasieger Norwegen hatte sich die Auswahl von Bundestrainer Jakob Vestergaard am Sonntagabend verabschiedet. »Wir müssen weiter dran arbeiten«, sagte Woltering, bevor sie in die Kabine stapfte.

Unbeantwortet blieb bis Montagabend die Frage, auf welches Ziel die deutschen Handballerinnen nun hinarbeiten werden. Noch gab es schließlich trotz des Ausscheidens die theoretische Chance, einen Platz für eines der drei Qualifikationsturniere zu ergattern, die im März die letzten sechs Teilnehmer für das Olympiaturnier in Rio des Janeiro ermitteln. Davon hängt für den Deutschen Handballbund (DHB) Einiges ab. Vermutlich auch die Zukunft des Bundestrainers.

Die Position des Dänen war bereits durch das Scheitern in der WM-Qualifikation gegen Russland - bekanntlich durften die deutschen Frauen nur dank einer Wildcard in Dänemark antreten - enorm geschwächt worden. Vestergaard wurde nach diversen Krisengesprächen in Jens Pfänder ein Co-Trainer zur Seite gestellt. Auch Bundesligatrainer wie Renate Wolf (Leverkusen), Leszek Krowicki (Oldenburg) und Dirk Leun (Buxtehude) sprachen nun ein Wörtchen mit. »Mein spontanes Bauchgefühl war: Das ist der größte Schwachsinn«, kommentierte Andreas Thiel, der ehemalige Nationaltorhüter, der jahrelang die Torhüterinnen trainiert hatte, die vielsprachige Korona um den Bundestrainer. »Da greift das gute, alte deutsche Sprichwort: Viele Köche verderben den Brei.«

Große Unruhe kam vor dem WM-Turnier hinzu, als Rechtsaußen Svenja Huber vom Thüringer HC mit lautem Getöse zurücktrat. »Mir fehlen Respekt, Ehrlichkeit und Loyalität«, erklärte sie und kritisierte ausdrücklich den Umgang der Trainerriege mit ausgesonderten Spielerinnen wie Nadja Nadgornaja (BVB) und Kerstin Wohlbold (THC).

Ebenfalls Zielscheibe der Debatte: Susann Müller, die einzige Weltklassefrau im Rückraum, der allerdings eine gewisse Egozentrik nachgesagt wird. Dass die Linkshänderin nach dem Playoff-Ausscheiden in Russland beim Bankett das Menü ablehnte und eine Pizza verlangte, beherrschte die Schlagzeilen vor der Weltmeisterschaft. Auch die Nichtnominierung Nadgornajas, die bei ihren Leistungen in der Bundesliga eigentlich nicht zu rechtfertigen war, soll mit der Person Müllers zusammenhängen.

Nun wäre die Mannschaft wohl auch mit Nadgornaja in ihren Reihen gegen Norwegen chancenlos gewesen: Die Skandinavierinnen zeigten sich den Deutschen in taktischer, technischer und konditioneller Hinsicht hochüberlegen - allein die spektakulären Paraden von Katja Kramarczyk zu Beginn der Partie hatten die Mannschaft in der ersten Viertelstunde im Spiel gehalten. Den nicht eben schmeichelhaften handballerischen Status quo legte dieses Achtelfinale in Frederikshavn jedenfalls schonungslos offen, obwohl Norwegens Trainer Thorir Hergeirsson den deutschen Gegner nach Abpfiff als »sehr interessantes Team für die Zukunft« pries.

Zugegeben, die deutsche Mannschaft war vor der WM stark verjüngt worden. Und speziell Rückraumspielerin Xenia Smits, eine eingebürgerte Belgierin, spielte trotz ihrer erst 21 Jahre ein überraschend gutes Turnier. In den meisten Fällen jedoch war der deutsche Angriff auf Einzelaktionen von der erfahrenen Spielmacherin Anna Loerper von der TuS Metzingen oder eben Susann Müller angewiesen. Eine wirkliche Spielidee konnte Vestergaard seinen Spielerinnen offensichtlich nicht vermitteln.

Nicht unwahrscheinlich, dass der DHB, falls das olympische Turnier verpasst werden sollte, noch einmal ganz von vorn anfangen muss, um eine Mannschaft für das Großereignis im eigenen Land aufzubauen: Bekanntlich findet die nächste Weltmeisterschaft im Dezember 2017 in Deutschland statt. Es ist nicht auszuschließen, dass es dann noch mal ein neuer Trainer versucht. Das Aushängeschild des deutschen Frauenhandballs jedenfalls bietet aktuell sehr viele Baustellen.

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