Vorrang für die Armen

Brasiliens Präsident verspricht Ausbau der Sozial- bei Beibehaltung der Stabilitätspolitik

  • Gerhard Dilger, Porto Alegre
  • Lesedauer: 4 Min.
Brasiliens Linke darf jubilieren: Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva hat die Stichwahl gegen seinen rechtsliberalen Herausforderer Geraldo Alckmin klar für sich entschieden. Lula kam auf 60,8 Prozent der gültigen Stimmen, Alckmin blieb unter seinem Ergebnis vom 1. Oktober und musste sich mit 39,2 Prozent zufriedengeben. Nun steht die zukünftige Wirtschaftspolitik zur Debatte.
Die Armen gaben den Ausschlag. Dem Trommelfeuer fast aller Medien zum Trotz sahen sie ihre Interessen bei Lula besser aufgehoben als beim rechtsliberalen Herausforderer Gerardo Alckmin. Darauf spielte Lula an, als er auf der Siegesfeier in São Paulo rief: »Zum ersten Mal hat das Volk beschlossen, der Hauptakteur der brasilianischen Politik zu sein. Es war ein Sieg von unten gegen die da oben.« Vor 4000 begeisterten Anhängern seiner Arbeiterpartei PT bekundete er seine Bodenständigkeit: »Ich werde nie vergessen, wo ich herkomme und wohin ich gehen will. Ich möchte das Leben aller Brasilianer verbessern.« In Anspielung auf die Korruptionsaffären seiner Parteifreunde sagte er: »Von nun an haben wir weder moralisch noch politisch das Recht, Fehler zu machen.«

Rückhalt für Lula am Amazonas
Auch mit dem Ergebnis der Gouverneurswahlen darf der Staatschef zufrieden sein. Der Amazonas-Staat Pará, in dem die Gewalt auf dem Lande besonders ausgeprägt ist, wird ab 2007 mit Ana Júlia Carepa erstmals von der PT regiert. Im südlichen Paraná wurde der Linksnationalist und Gentech-Kritiker Roberto Requião knapp wiedergewählt. Nur in der früheren PT-Hochburg Porto Alegre reichte es nicht: Der Parteilinke Olívio Dutra kam im Bundesstaat Rio Grande do Sul nur auf 46 Prozent. Mindestens 16 von 27 gewählten Gouverneuren stehen auf der Seite des Präsidenten, doch das neue Parlament von Brasília dürfte unter dem Strich deutlich konservativer sein als das bisherige.
Anders als 2002 beschränkten sich die Siegesfeiern im ganzen Land diesmal auf die Aktivisten. Denn die damalige Aufbruchstimmung wurde bald von Lulas übervorsichtigem Pragmatismus abgelöst, den er bis heute beibehalten hat. Zu Beginn seiner ersten Fernsehansprache forderte er die politischen Gegner auf, gemeinsam mit ihm eine politische Reform voranzutreiben, die soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen und sich für das Wachstum einzusetzen. Als Herausforderungen für seine zweite Amtszeit nannte er »Wirtschaftswachstum, eine gleichmäßigere Einkommensverteilung und ein Bildungswesen mit Niveau«. Seine Süd-Süd-Außenpolitik, die von Alckmin heftig kritisert worden war, will er forttsetzen: Die südamerikanische Wirtschaftsunion Mercosur müsse weiter gestärkt werden, sagte er und fügte zufrieden hinzu: »Heute redet niemand mehr von der Amerika-Freihandelszone ALCA.« Das am Sonntag unterzeichnete Abkommen zwischen der Staatsfirma Petrobras und der bolivianischen Regierung, das dem Andenland höhere Einnahmen aus der Erdgasförderung garantiert, verteidigte er gegen »reaktionäre Kreise«, die eine Konfrontation mit Bolivien gefordert hatten.
Die Regierung, werde über Petrobras und direkt milliardenschwere Investitionen in die Infrastruktur des Landes vornehmen und zugleich die Sozialprogramme ausbauen, versprach Lula. »Die Armen werden in unserer Regierung Vorrang haben«, sagte er.

Ausbau der Sozialprogramme
»Die ärmsten Regionen werden noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, denn wir wollen ein weniger ungleiches Brasilien hinterlassen.« Zugleich kündigte er die Fortsetzung einer »harten Finanzpolitik« an. »Wir können nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen«, sagte der Staatschef. Allerdings dürfe diese Politik nicht länger auf Kosten der Armen gehen.
Damit ließ er offen, wie er seine Wirtschaftspolitik zukünftig gestalten will. Die Unternehmer fordern Steuersenkungen und Kürzungen der Staatsausgaben, aber auch deutliche Zinssenkungen, die einen Kurswechsel der Zentralbank nötig machen würden. Die hohen Zinsen sind nicht nur für das niedrige Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent (2005) verantwortlich, sondern machen auch den Schuldendienst extrem kostspielig: »Die Zinsen, die der Staat in 15 Tagen zahlt, entsprechen dem gesamten Bolsa-Família (dem Hilfsprogramm für elf Millionen Familien, GD)«, sagt der Ökonom Delfim Netto, »das ist ein brutaler Transfer vom öffentlichen Sektor an die Banken.«

Streit um Kurs in der Finanzpolitik
Zwar bestätigte Lula jetzt den seit März 2006 amtierenden Finanzminister Guido Mantega, über dessen Ablösung in den Medien spekuliert wird: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Antonio Palocci möchte Mantega die Rolle des Staates stärken und macht aus seinen Differenzen zum neoliberalen Zentralbankchef Henrique Meirelles kein Geheimnis. Andererseits rüffelte der Präsident jene Minister, die schon am Sonntag das »Ende der Ära Palocci« ausgerufen hatten. »Diese Politik war vor allem meine Entscheidung«, sagte er im Fernsehen.
»Lula wird einen sicheren Weg wählen«, sagt der PT-Ökonom Márcio Pochmann voraus, »je nachdem, wie sich die Kräfteverhältnisse entwickeln.« Sein Kollege Fernando Cardim bringt das Dilemma auf den Punkt: »Wenn es Lula weiterhin allen Recht machen will, dann wird sich nichts ändern.«
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