Der Bruder des NS-Verbrechers

Freitags Wochentipp: »Der gute Göring«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann übers Fernsehjahr eine Menge sagen und gewiss nicht nur Gutes. Besonders eigenproduzierte Serien waren ja mehrheitlich gewohnt miserabel und waren sie es ausnahmsweise mal nicht, waren sie zumindest sagenhaft erfolglos wie das schwer gehypte »Deutschland 83«. Waren sie hingegen weder mies noch erfolglos, hießen sie stets »Weissensee«. Ein wenig besser verhielt es sich mit Spielfilmen, die zwar häufiger Kritik und Publikum überzeugten, aber dennoch oft vielfach Wiedergekäutes zur abermaligen Nachverdauung durch fünf Mägen für sechs verschiedenen Spielfilmthemen dieser stolzen Fernsehnation jagten: Romanze, Drama und Comedy, dazu Krimi, Krimi, Krimi. Nur ein Genre bildete auch 2015 die Ausnahme im mediokren Brei: Biopics.

Sie sorgten regelmäßig für Perlen im Programm. Angefangen mit einem Porträt von Murat Kurnaz im Griff amerikanischer Menschheitsverbrechen, vertieft durch das prominente NS-Opfer »Meine Tochter Anne Frank«, erweitert um Ulrich Tukur als Bernhard Grzimek, überdreht von zwei grundverschiedenen Interpretationen des Falls Uli Hoeneß, gekrönt mit einem wahren Meisterwerk über den Wendehals Luis Trenker. Da passt es ins Bild, dass dem neuen TV-Jahr gleich mal die fabelhafte Charakterstudie eines Mannes mit berühmtem Namen vorweg schickt - eines Mannes, den fast niemand kannte, bis Sandra Maischberger auf ihn stieß und ein bemerkenswertes Dokumentarspiel zu ihm produzierte: »Der gute Göring«.

Er heißt Albert und ist, man ahnt es bereits, der Bruder des NS-Gewaltigen namens Hermann. Gut, das wäre an sich noch kein abendfüllendes Thema - hätte der nächste Verwandte des Reichsmarschalls nicht politisch auf der gegenüberliegenden Seite des Erstgeborenen gestanden: Albert Göring war zeitlebens Regimegegner, nicht grad in aktiven Widerstand, aber doch im passiven. Er war also offensiv anderer Ansicht als Hermann, der Menschheitsverbrecher. Krass!

So krass wie jener Spielfilm mit Archiveinsprengseln, den der biopicerfahrene Kai Christiansen (Otto Weidt, Brehm, Münchhausen) daraus macht. Mit Hingabe, Akribie und großer Lust am Kostüm lässt er Barnaby Metschurat als kleiner Bruder auf den zweitgrößten Gröfaz prallen, dass es trotz Nazi-Abgründen die reine Freude ist. Hier Albert, ein feingliedriger Lebemann mit Charme und Chuzpe, dort Hermann, ein feister Operettendiktator mit Charme und Knute, beide voneinander angewidert und gleichsam angezogen durchs Blut, das gerade damals dicker war als Wasser.

Dass diese Polarität so bildgewaltige Kraft entwickelt, liegt vor allem an einem, dem man so etwas lange nicht zugetraut hätte: Francis Fulton-Smith. Nach seiner Rolle als Franz-Josef Strauß in der »Spiegel-Affäre«, glänzt er nun als prunksüchtiger Egomane, der sich darin gefällt, Albert ebenso mit der Gnade seiner Macht zu beschenken wie den gefallenen Ufa-Star Henny Porten (Natalia Wörner). Eigentlich hätte der Film also »Der böse Göring« heißen müssen. Aber davon gibt’s ja schon genügend. Und »der gute« ist einfach besser.

ARD, 10.1., 21.45 Uhr

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