Reichstagsbrand - ein Fall fürs LKA
In Hannover laufen offenbar Fäden einer historischen Legende zusammen, wie interne Untersuchungen nahelegen
Als Henker Alwin Engelhardt am 10. Januar 1934 im Zuchthaus Leipzig den 24-jährigen Arbeiter Marinus van der Lubbe enthauptet hatte, war der »Fall Reichstagsbrand« aus Sicht der Hitler-Justiz abgeschlossen. Allein habe der Maurergeselle aus Holland am 27. Februar 1933 das Feuer im Parlamentsgebäude gelegt, lautete von nun an die offizielle These. Zweifel an ihr blieben. Van der Lubbe müsse Mittäter gehabt haben, mutmaßten Nazis, und auf linker Seite hieß es, die braune Diktatur habe den Brand selbst entfacht, um mit aller Härte gegen die Kommunisten als angebliche Brandstifter vorzugehen.
Mittlerweile hat sie in Schulbücher und Lexika Eingang gefunden, die - nach wie vor umstrittene - Alleintäter-These. Zum Nachdenken über ihren Wahrheitsgehalt bewegt aktuell eine Frage, mit der sich das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen befasst: Warum hat ein hochrangiger Beamter des Amtes seit den 1950er-Jahren bis zu seinem Tode 2011 geradezu leidenschaftlich diese These verfochten?
In einem Beitrag des NDR-Fernsehens äußerte sich das LKA jetzt über Forschungen, die in der Behörde zur eigenen Geschichte angestellt werden. Zu ihr gehört der erste Leiter des Amtes, Walter Zirpins. Ausgerechnet dieser Zirpins spielt in der Geschichte um den Reichstagsbrand und offenbar bis in die heutige Geschichtsschreibung eine große Rolle. Vorübergehend der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) angehörend, war er 1933 Hauptermittler in Sachen Reichstagsbrand, später Sturmbannführer in Hitlers Terrortruppe SS.
Die Fragen des Forschungsteams im LKA richten sich neben Zirpins vor allem auf jenen Beamten, der so vehement die Alleinschuld van der Lubbes postulierte: Fritz Tobias. Umstritten ist, ob er zur NS-Zeit der für Brutalität und Folter berüchtigten »Geheimen Feldpolizei« angehörte. Tobias wies das stets zurück. Fakt ist: Nach dem Krieg hatte er in Hannover die für »politisch motivierte Kriminalität« zuständige Nachrichtenpolizei aufgebaut, ehe er zum niedersächsischen Verfassungsschutz kam.
Dort im Dienst, verfasste Tobias für den »Spiegel« 1959 ein Manuskript zum Thema Reichstagsbrand mit der Essenz: Van der Lubbe war alleiniger Täter. Das verteidigte der Verfassungsschützer mit Zähnen und Klauen. Sogar »mit illegalen Mitteln« sagt Karola Hagemann, die sich beim LKA mit dessen Historie beschäftigt, im NDR-Beitrag. Tobias habe Menschen, die an seiner These zweifelten, unter Druck gesetzt. Er habe ihnen gedroht, ihre Mitgliedschaft in der Nazipartei bekannt zu machen.
Warum tat Tobias das? Bestehen die Zweifel an der Alleintäterschaft doch zu Recht? Ja, unterstreicht der Historiker Hersch Fischler. Die von Tobias verfochtene These sei - auch mit Blick auf die Quellen des Beamten - »eine astreine Legende«. Der Verfassungsschutzmann habe mit seinen Ausführungen »Kollegen helfen« wollen, die Fehler gemacht haben bei den Ermittlungen zum Reichstagsbrand. Auch LKA-Frau Hagemann meint, die Tobias-These habe »alten nationalsozialistischen Polizisten genützt«, denen »peinliche Prozesse« hätten drohen können. Aber wem wollte Tobias »helfen«, wen schützen? Womöglich auch dem ersten LKA-Chef Walter Zirpins. Er hatte 1933 in seinem Bericht zum Brand geschrieben: »Die Frage, ob van der Lubbe die Tat allein ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein.« Worte, die den Weg zum Todesurteil bahnten.
Vor Ungemach bewahrt hat Tobias mit seinem Engagement für die Lubbe-These womöglich auch einen weiteren ehemaligen Nazi-Beamten, der - wie Tobias und Zirpins - nach dem Krieg in Hannover lebte: Hitlers ersten Gestapo-Chef Rudolf Diels. Schon vor der »Machtergreifung« war er im preußischen Innenministerium »Dezernent zur Bekämpfung der kommunistischen Bewegung«. Und Diels war es, der noch am Abend des Reichstagsbrandes die Verhaftung kommunistischer Funktionäre und Mandatsträger befahl.
Gab es Verbindungen zwischen Diels, Zirpins, Tobias? Antwort darauf gibt vielleicht das umfangreiche, von dem Verfassungsschützer hinterlassene Schrifttum zum Reichstagsbrand. Es wartet im Bundesarchiv auf weitere Forschung.
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