Wer erinnert sich noch an die Roten Gitarren?
Markus Krzoska hat eine neue Kulturgeschichte Polens ab 1945 vorgelegt. Von Daniela Fuchs
Die Familie, die auf dem Titelbild durch grüne Landschaft , in einem Polski Fiat fährt, Kultauto aus der Zeit der sozialistischen Volksrepublik Polen, soll wohl die Dynamik einer wechselvollen Landesgeschichte symbolisieren. Dass es sich dabei um eine Aufnahme von 1948 handelt, scheint ein Druckfehler, ein Zahlendreher zu sein. Das Buch von Markus Krzoska dürfte jedenfalls angesichts einiger beunruhigender Nachrichten aus Polen hierzulande besondere Aufmerksamkeit finden. Antworten auf Fragen zur aktuellen Entwicklung findet man hier allerdings eher nicht.
In seiner Einleitung spannt der Autor den Bogen von den Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts bis 1945, dem Ausgangspunkt seines eigentlichen thematischen Gegenstandes. Er will einen neuen Blick auf Polens jüngste Geschichte werfen und bisherige nationale oder blockbezogene Argumentationsmuster hinterfragen. Krzoska packt viele Themen an, die jedoch oft nur angerissen werden können: Arbeiter, Bauern, Intelligenz, Bürokratie, Partei, Anpassung, Widerstand, Alltag, Umwelt, Zentralismus, Regionalismus, Systemwandel. Wer sich mit polnischer Geschichte und Gegenwart auskennt, wird ihm vielfach zustimmen, anderseits aber auch widersprechen.
In der DDR sozialisierte Leser werden sich bei der Lektüre an unvergessliche polnische Filme und Fernsehserien erinnern, nicht nur an die »Vier Panzersoldaten und ein Hund« oder Andrzej Wajdas Filme »Der Mann aus Marmor« und »Der Mann aus Eisen«. Erinnerungen werden wach an die Musik von Maryla Rodowicz, Czesław Niemen oder die Roten Gitarren, polnisch: Czerwone Gitary. Die 1965 gegründete Band genoss wie viele polnische Künstler in der DDR Kultstatus. Dem Verhältnis Volkspolens zu seinem westlichen Nachbarland wird leider nur wenig Raum gegeben. Dabei galt Polen vielen DDR-Bürger als das »Tor zur Welt«, nicht erst im Sommer 1989. Polnische Mode war begehrt. Die polnischen Kultur- und Informationszentren in der DDR wie auch umgekehrt der DDR in Polen wären hier eine Erwähnung wert gewesen.
Besonderes Interesse verdient der Abschnitt über Geschichtsdebatten in Polen nach 1989. Da gibt es deutliche Unterschiede zum Osten Deutschlands. Ein solch radikaler Austausch von Historikern an ehemaligen DDR-Universitäten, Hochschulen, Archiven und Museen ist in Polen nicht erfolgt. Zudem gab es dort stets konkurrierende Geschichtsbilder. Besonders heftige Debatten berühren das polnisch-jüdische und das polnisch-ukrainische Verhältnis sowie Fragen der Kollaboration mit den NS-Besatzern. Neue Ansätze sind in der Regionalgeschichte, besonders in den Westgebieten Polens und dort bezüglich des Umgangs mit der »ererbten deutschen Vergangenheit« zu verzeichnen.
Markus Krzoska: Ein Land unterwegs. Kulturgeschichte Polens seit 1945. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015. 436 S., geb., 39,90 €.
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