Boliviens Stolz und natürlicher Feind
Die Rallye Dakar walzt durch Wüsten und zerstört die einmalige Natur des Landes. Präsident Evo Morales lässt es geschehen
Diese Gegend muss man ohne Autokolonne gesehen haben, um erahnen zu können, was hier verloren gehen kann, findet Juan Huayca. Der Lehrer fährt häufig her, raus aus der Stadt, um Besuchern das Gigantische der hiesigen Natur zu zeigen: »Der Salar de Uyuni ist fast halb so groß wie Belgien, der größte Salzsee der Welt. Um den Jahreswechsel liegt er trocken«, sagt Huayca und klopft gegen einen metergroßen Kaktus, als sei er sein Freund. Am Horizont, auf rund 3600 Metern Höhe, sind ein paar winzig wirkende Berge zu sehen. Einige Autostunden weiter grasen Lamas auf einer Wiese, Enten suchen in einer Lagune nach Fischen. Noch weiter weg stecken Flamingos ein Bein in den harschen Wind. »Ist es nicht schön hier«, fragt Huayca und atmet tief durch. »Jeder sollte einmal hierherkommen - bevor es zu spät ist.«
Durch diese friedliche Gegend im bolivianischen Hochland brettert seit Donnerstag und noch bis zu diesem Samstag die bekannteste Rallye der Welt. In Hochgeschwindigkeit eilen die Rennfahrer der berüchtigten Rallye Dakar über zwei Wochen in jeweils rund 800 Kilometer langen Etappen vor allem durch Wüstenlandschaften Argentiniens und Boliviens, die eigentlich den Tieren und Pflanzen gehören sollen. Bei der 38. Auflage des berüchtigten Rennens verteilen sich die 354 Wettbewerber auf 143 Motorräder, 109 Autos, 56 Lkw und 46 Quads. Es ist ein Riesenspektakel. Die Sieger der vergangenen knapp 40 Jahre wurden zu Helden ihrer Disziplinen oder gar Nationen. Denn keine andere Rallye der Welt gilt als so hart, gefährlich und aufreibend wie diese: Immer wieder gibt es Tote, Unfälle und »Kollateralschäden«.
Zwischen 1979 und 2007 wurde die Rallye Dakar ihrem Namen noch gerecht. Da führte das Rennen in der Regel von einer europäischen Stadt, meistens Paris, über Nordafrika in die senegalesische Hauptstadt Dakar. Als 2008 aber politische Unruhen die Veranstaltung überschatteten und sogar zur Absage des Rennens führten, kehrte die Rallye Afrika den Rücken und bislang nie wieder zurück. Ersatz fand sich ab 2009 in Südamerika. Zunächst führte die Route nur durch Argentinien und Chile, 2012 kam Peru dazu und ab 2014 erstmals auch Bolivien. Weniger populär ist die Dakar durch ihre Verlegung nicht geworden, noch immer übertragen Fernsehsender weltweit, und es kommen Zuschauermassen an die Strecke.
Kontroverser ist die Rallye seither aber schon. So umstritten, dass sich Chile und Peru wieder zurückgezogen haben. In Peru hieß es offiziell, dass die durch den Klimawandel verstärkten Katastrophen, hervorgebracht durch das Wetterphänomen »El Niño«, so eine Veranstaltung nicht verantworten ließen. Schließlich ist der Schaden für die Umwelt enorm. Die Abgase verschmutzen die Luft, Motoren und Scheinwerfer verscheuchen die Tiere, der Druck durch die Reifen sorgt für Bodenerosionen. Nach diversen Forschern warnte mittlerweile auch die UNESCO, die UN-Wissenschaftsorganisation, vor den Auswirkungen der Rallye. Kurz vor Beginn der diesjährigen Veranstaltung machten Gerüchte die Runde, dass auch Argentinien zum letzten Mal Gastgeber sein wolle. Dann bliebe nur noch Bolivien.
Auf den ersten Blick dürfte das den Einwohnern von Uyuni nur recht sein. Die Menschen sind begeistert, dass ihr ansonsten wenig beachtetes Land endlich mal im Interesse der Weltöffentlichkeit steht. Auch die Politik schlachtet das aus. Bei der Einfahrt in die 40 000-Einwohnerstadt Uyuni, in der die Wettbewerber auch übernachten, fällt ein riesiges Schild mit einem Rallyefahrer und dem in die bolivianische Flagge gewickelten Präsidenten Evo Morales auf, dazu die Aufschrift: »el orgullo de ser boliviano« - der Stolz, Bolivianer zu sein. Täglich heben die Zeitungen die Rallye auf ihre Titelseiten, und Morales lässt es sich dieser Tage auch nicht nehmen, die Etappensieger vor Ort zu beglückwünschen. Schließlich hat der Präsident persönlich die Rallye nach Bolivien geholt.
Nur ist gerade das äußerst fragwürdig. Morales, seit 2006 der erste indigene Präsident Südamerikas, stammt dem Volk der Aymara ab. Seine große Beliebtheit verdankt er unter anderem seiner Angewohnheit, indigene Werte in die politische Praxis umzusetzen. Insbesondere die Mutter Erde »Pachamama«, im Glauben der Aymara eine der wichtigsten Gottheiten, verehrt Morales. Nur passt eine Veranstaltung wie die Rallye Dakar mit all ihren Umweltschäden so überhaupt nicht dazu. Wichtiger scheint dem Präsidenten, der sich im Februar per Referendum zur Wiederwahl stellen wird, dass auch viele Bolivianer Lust auf das Spektakel haben und die ihnen sonst so wichtige Naturliebe einmal ausblenden.
Das hört man dieser Tage auch so in Uyuni. Ademar, ein Mechaniker aus der Stadt, der sonst viel Zeit im Naturgebiet verbringt, sieht die Sache pragmatisch. Er freut sich auf das Event: »Wir wissen, dass die Rallye schlechte Auswirkungen auf unsere Erde hat. Aber die haben die multinationalen Unternehmen, die hier unsere Rohstoffe abbauen, doch auch. Viel stärker sogar als die Rallye Dakar.« Überdies gebe es eben positive Nebeneffekte. Anfang Januar sind die Betten der Hotels und Herbergen seit drei Jahren verlässlich ausgebucht, die Restaurants können europäische Preise verlangen. Die Erlöse wiederum kommen nicht nur der Kaufkraft der Anwohner zugute, sondern könnten auch in die Infrastruktur der Region fließen: für eine bessere Wasserversorgung oder einen flächendeckenden Anschluss an Telefonleitungen und Internet.
Dabei ist die Veranstaltung kein eindeutiges Gewinngeschäft: Die Ausrichter der Rallye Dakar lassen sich dafür bezahlen, durch ein Land zu walzen. Boliviens klammer Staat steuerte schon im ersten Jahr als Gastgeber rund 20 Millionen US-Dollar bei - für ein Entwicklungsland, in dem ein Viertel der Bevölkerung in extremer Armut lebt, ist das eine enorme Summe. »Ob wir uns das wirklich leisten können, ist aber eigentlich gar keine Frage des Geldes«, sagt Juan Huayca auf dem trockenliegenden Salzsee. »Der Preis ist viel höher.« Das werde man aber erst in der Zukunft verstehen, wenn es in Uyuni weniger Tiere und Pflanzen gebe als heute. In anderen Gebieten Boliviens hätten das schon der Klimawandel und die Industrie angerichtet. »Hier sorgt nun unser eigenes Vergnügen dafür.«
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