Türkei schiebt widerrechtlich nach Syrien ab
Verstoß gegen Europäische Menschenrechtskonvention bereits länger bekannt, aber bisher ungeahndet
Der türkische Staat schiebt Flüchtlinge aus Irak und Syrien in die Herkunftsstaaten zurück. Darüber wollte die ARD am Donnerstagabend in ihrem politischen Magazin »Monitor« berichten. Die Redaktion teilte vorab mit, dass sie diese Informationen von Syrern habe, die nach ihrer Rückschiebung erneut geflüchtet waren und gegenüber Medien entsprechende Aussagen gemacht hätten. Außerdem gebe es Filmaufnahmen der Organisation Human Rights Watch als Beleg dafür.
Diese Abschiebungen gelten, weil sie in Länder führen, in denen offen Krieg geführt wird, als politisch verurteilenswert und rechtlich irregulär. Laut EU-Kommission aber stellen »irreguläre Abschiebungen ohne individuelle Prüfung einen Bruch des internationalen Rechts dar und verletzen die Europäische Menschenrechtskonvention« (EMRK). Zwar ist die Republik Türkei nicht Mitglied der EU, hat aber die EMRK unterzeichnet. 1987 erkannte die Türkei das Recht zur Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an (Art. 25 EMRK); 1990 wurde auch die Rechtsprechung des EGMR als bindend anerkannt (Art. 46 EMRK).
In deren Artikel 46 heißt es: »Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.« Also auch Ankara. Wenn die Türkei »systematisch Bürgerkriegsflüchtlinge zurück nach Syrien« schickt, wie es in dem ARD-Bericht heißt, verstößt sie gegen internationales Recht und ist damit verklagbar, am leichtesten von anderen Teilnehmerstaaten.
Deutschland könnte das als Staat tun. Zu rechnen ist damit freilich nicht. Schließlich sind Ankara und Berlin gerade informell übereingekommen, Fluchtbewegungen über die Türkei in Richtung Deutschland in naher Zukunft zu begrenzen, wenn nicht sogar zu stoppen. Eine deutsche Beschwerde über türkische Zwangsrückschiebungen dürfte also von der Türkei als »Vertrags«-Bruch betrachtet werden.
Auch andere EU-Mitglieder werden sich nicht darum reißen, die Türkei zu verklagen. Die EU-Kommission verhält sich wie der Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss und erklärt sich für unwissend. Man habe bisher noch keine Möglichkeiten gehabt, die Vorwürfe zu überprüfen.
Das ist vielleicht nicht gelogen, aber bestimmt nicht die Wahrheit. Bereits im September hatte auch die EU von der Organisation Amnesty International die Mitteilung erhalten, dass »etwa 150 syrische Flüchtlinge in einem Lager in der türkischen Grenzprovinz Osmaniye festgehalten« werden. Ihnen drohe die Rückführung nach Syrien. Man muss davon ausgehen, dass das inzwischen geschehen ist - ohne dass zuvor auch nur eine EU-Anfrage bekannt geworden wäre.
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