Leere Drohgebärden

Jörg Kronauer über Entwicklungshilfe für die Maghrebstaaten und warum dorthin nicht abgeschoben werden sollte

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Sigmar Gabriel runzelt die Stirn. Da kursiere der Vorschlag, denjenigen Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, die Entwicklungshilfe zu kürzen, so die Moderatorin der Tagesthemen, Caren Miosga. Und nun fragt sie: Will die Bundesregierung sich von Flüchtlingen freikaufen? Dem Bundeswirtschaftsminister gefällt der Ausdruck nicht. Berlin leistet Ländern wie Algerien und Marokko großzügige Unterstützung, tönt der Sozialdemokrat: »Es kann nicht sein, dass man unsere Hilfe beansprucht und gleichzeitig sagt: Wir nehmen unsere Bürger nicht zurück. Es geht um Leistung und Gegenleistung.« Und wenn die Gegenleistung ausbleibe, dann werde die Leistung halt gekürzt. Mit Freikaufen habe das natürlich nichts zu tun, so der SPD-Chef.

Im gesteigerten Bemühen, Flüchtlinge loszuwerden, schlägt und tritt Schwarz-Rot immer besinnungsloser um sich. Leistung und Gegenleistung? Berlin hat, um ein Beispiel zu nennen, Algerien im vergangenen Jahr Entwicklungshilfe in Höhe von rund sechs Millionen Euro zugesagt. Im selben Jahr lieferte das Land der Bundesrepublik Erdöl im Wert von rund 2,5 Milliarden Euro und kaufte im Gegenzug deutschen Exportfirmen Waren im Wert von 2,6 Milliarden Euro ab. Netto verdiente Deutschland beinahe 80 Millionen Euro am Handel mit Algerien - das Dreizehnfache der ach so großzügigen Entwicklungshilfe. Die algerische Regierung weiß wohl recht genau, warum sie den deutschen Abschiebebehörden nicht jeden Gefallen tut.

Aber Marokko! 486 Millionen Euro hat das Entwicklungsministerium dem Land im vergangenen Jahr zugesagt. Kann man da nicht Druck auf Rabat machen, die zahllosen ausreisepflichtigen Marokkaner - etwa 2300 sollen es laut Bundesinnenministerium sein - endlich zurückzunehmen, damit Deutschland wieder atmen kann? Da ist auf einmal der Entwicklungsminister dagegen. Gerd Müller (CSU) weiß auch, warum. Ein großer Teil der Gelder, die sein Ministerium an Marokko vergibt - zum guten Teil nur als Kredit -, landet in der Region Ouarzazate. Dort entsteht zur Zeit der größte Solarkraftwerk-Komplex der Welt - ein Vorzeigeprojekt mit Modellcharakter für weitere gigantische Kraftwerke auch in anderen Wüstenländern. Die Unternehmen, die in Ouarzazate arbeiten, können auf lukrative Folgeaufträge hoffen. Wie günstig, dass an dem deutsch finanzierten Projekt so viele Firmen aus der Bundesrepublik beteiligt sind: Siemens stellt Turbinen, Flabeg liefert mehr als 500 000 Solarspiegel, Schott Solar und deutsche Ingenieurbüros verdienen gutes Geld. Soll man ihnen etwa die Entwicklungshilfe kürzen?

Was also tun, wenn man nicht wirklich Druckmittel hat, weil die angeblichen Leistungen, die zu Gegenleistungen verpflichten sollen, entweder nicht existieren oder vor allem der eigenen Industrie zugute kommen? Man kann Algerien und Marokko immer noch zu »sicheren Herkunftsländern« erklären. Das vereinfacht die Dinge. Flüchtlinge von dort können dann in Schnellverfahren abgelehnt und unmittelbar in sogenannten Rückführungseinrichtungen untergebracht werden. In Marokko werden, wie man bei Amnesty International nachlesen kann, Andersdenkende gelegentlich gefoltert, in Algerien sind Menschenrechtler harter Repression ausgesetzt. Dass selbst die restriktiven deutschen Asylbehörden sich im vergangenen Jahr gezwungen sahen, wenigstens einigen Algeriern und Marokkanern Asyl zu gewähren, das soll nicht weiter stören. Immerhin hat Thomas Strobl, stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, vergangene Woche großzügig bestätigt, dass Deutschland an seiner Willkommenskultur festhält: »Wir schieben niemand in den Tod ab.« Wie beruhigend.

Allerdings gäbe es viele Länder, hat Strobl auch erklärt, in die man Geflüchtete problemlos abschieben kann, weil sie sicher seien. Die bayerische Staatsregierung hat sich die Mühe gemacht, Kandidaten für den Status des »sicheren Herkunftslands« aufzulisten. Die Ukraine ist dabei - man hat sie schließlich soeben erst befreit -, aber auch Gambia, dessen Präsident Schwulen »den Kopf abschneiden« will. Sein Regime füllt die sehr sicheren Gefängnisse des Landes bevorzugt mit Regimegegnern. Und ginge es nach der CSU, dann sollte schließlich auch Mali als »sicheres Herkunftsland« kategorisiert werden. Wozu macht man sich denn die Mühe, das Bundeswehr-Kontingent dort massiv aufzustocken? Die deutschen Streitkräfte, das weiß doch jeder, produzieren zuverlässig eines - nämlich Sicherheit.

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