Postolympische Amtsmüdigkeit
Nach Rücktritt in Hamburg keine Kabinettsumbildung
Was lange wie ein Musterweg bis auf den Bürgermeisterstuhl aussah, ist seit Montag ein Rückzug ins Private. »Man kann warten, bis man wie ein Hund vom Hof gejagt wird«, sagte Michael Neumann, als er von seinem Amt als Hamburger Innensenator zurücktrat: »Oder man kann selbstbestimmt eine Entscheidung treffen.« Der SPD-Politiker, der vor etwas über einem Jahr bundesweit Schlagzeilen gemacht hatte, als er die zehntägige Einrichtung von später für rechtswidrig befundenen »Gefahrengebieten« durch die Hamburger Polizei unterstützte, sah sich »nicht mehr mit ganzer Seele und vollem Herzen bei der Sache«. Sein Nachfolger wird der zwei Jahre ältere Andy Grote, der sich als SPD-Stadtentwicklungsexperte einen Namen gemacht hat und seit 2012 das Bezirksamt des Bezirks Hamburg-Mitte leitete.
Es war kein Geheimnis, dass der Berufssoldat Neumann als Innensenator die sozialdemokratische Law&Order-Linie - auch gegenüber der Flüchtlingsgruppe »Lampedusa in Hamburg« - strikt und voller Überzeugung verkörperte, sein Herz aber viel stärker am Sport hing, der der Innenbehörde zugeordnet ist. So traf den 45-Jährigen das Nein der Hamburger zu der von ihm vorangetriebenen Olympiabewerbung beim Bürgerentscheid am 29. November besonders hart. Die »Flamme« brenne »nicht mehr so stark«, erklärte Neumann am Montag in postolympischer Diktion seine Amtsmüdigkeit. Seit seiner Wahl zum SPD-Fraktionschef 2004 galt er als sozialdemokratischer Hoffnungsträger in der Hansestadt, nach sieben Jahren Oppositionsarbeit wurde er 2011 nach dem Wahlsieg von Olaf Scholz Innensenator - und mittelfristig auch als dessen Nachfolger gehandelt.
CDU-Oppositionsführer André Trepoll forderte von Bürgermeister Scholz prompt eine größere Kabinettsumbildung, der beließ es aber bei der Ernennung von Grote. Der neue Innensenator trat erst mit 28 Jahren in die SPD ein, Neumann saß in diesem Alter schon in der Hamburgischen Bürgerschaft. Anjes Tjarks, Fraktionschef der mitregierenden Grünen, begrüßte Neumanns Nachfolger: »Als Bezirksamtsleiter bringt er viel Erfahrung bei der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften und den damit verbundenen Bürgerbeteiligungsprozessen mit.«
Grotes Bezirk Hamburg-Mitte, der sehr unterschiedliche Stadtteile wie St. Pauli, HafenCity, Wilhelmsburg und Billstedt umfasst, ist seit langem SPD-Hochburg und das Revier des Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs vom konservativen »Seeheimer Kreis«. Insofern ist Hamburg-Mitte ein ideales Reservoir für sozialdemokratische Innensenatoren - auch Neumann saß dort im SPD-Kreisvorstand.
Dem auf St. Pauli wohnenden Juristen Grote gelang es als Bezirksamtschef, den Konflikt um Abriss und Neubau der »Esso-Häuser« an der Reeperbahn zu befrieden. Der Anhänger des FC St. Pauli steht in seinem neuen Amt gleich vor einer pikanten Herausforderung. Kurz vor Neumanns Rücktritt musste der Senat auf eine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Christiane Schneider einräumen, dass die Polizei über Jahre hinweg unrechtmäßig Daten von Fußballfans gesammelt hat.
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